Heimsuchung der „Alten Dame“

Seit gut einer Woche macht die „Financial Times Deutschland“ dem „Handelsblatt“ Konkurrenz. Dass die neue Zeitung ganz ordentlich geraten ist, findet ■ Matthias Urbach

Vielleicht machen sich die beiden ja gar keine Konkurrenz. Wer gerne in der Financial Times Deutschland (FTD) liest, kann das Handelsblatt eigentlich nur mit Widerwillen gewälzt haben. Schön die ersten acht Ausgaben des neuen Wirtschaftsblattes treffen einen deutlich anderen Ton als ihre Düsseldorfer Konkurrenz. Die Texte sind prägnanter, analytischer und auch ein wenig erklärender als im Handelsblatt. Die Kommentare sind frecher – zuweilen schon ein zu sehr mit der Brechstange, wenn etwa von „Frankenstein“-Patenten die Rede ist.

Trotzdem zielt die FTD mit ihrem Slogan „Keine Zeile zu viel, kein Satz zu wenig“ direkt auf die doppelt so schwere Düsseldorfer Konkurrenz. Die wiederum gönnte sich schon vor Erscheinen der ungewohnten Konkurrenz eine neue Gestaltung ihrer Seite 1, die verdammt an die englische Financial Times erinnert. Weshalb sich kurioserweise die Titelseite der FTD im Aufbau deutlicher vom Mutterblatt unterscheidet als das Handelsblatt – nur konnten die Düsseldorfer nicht auch noch die lachsrote Farbe und das kleinere Format nachahmen.

Auch inhaltlich hat sich die alte Dame bewegt. War das Handelsblatt früher verschrien, so zu schreiben, als wäre die Firmen-PR direkt ins Blatt gefallen, setzt man jetzt auch auf analytischere Texte.

Doch so leicht ändert sich ein Traditionsblatt nicht. Das demonstriert der gestrige Artikel über Pro 7, der so beginnt: „ ‚Der unternehmerische Kurs des Medienhauses bleibt klar auf Expanison ausgerichtet‘, betonte gestern Urs Rohner, neuer Vorstandsvorsitzender der Pro Sieben Media.“ Ganz anders textet die FTD: „Moderater steigende Ergebnisse lassen die Fernsehgruppe Pro Sieben spüren, dass im deutschen Fernsehmarkt die goldenen Zeiten vorbei sind.“

Auch in anderen Beiträgen muss sich der Handelsblatt-Leser durch Unternehmensprosa à la „2000 wird ein starkes Jahr mit neuen Produkten“ wühlen. Die Anbiederung der Düsseldorfer macht vor den Fotos nicht halt: Der Pro 7-Chef hat ganz zufällig seine rote Sieben in der Hand. Und Siemens-Chef Heinrich von Pierer schafft es schon mal in Daumen-hoch-Pose auf die Titelseite. Ansonsten dominieren Porträts von grau melierten Herren. Diese Linie wird selten durchbrochen – und nicht immer geschmacksicher: Neben einen Text über kleine Aktiengesellschaften verirren sich so schon mal Gartenzwerge. Natürlich kommt auch die FTD nicht ganz ohne graue Herren aus – zur Abwechslung gibt es aber wenigstens Zeichnungen. Nicht immer überzeugend, doch allemal besser als PR-Fotos. Die Anmutung ist flotter, was selbst für die vielen Grafiken gilt, die dezenter gehalten sind als beim Konkurrenten.

Im Politikteil ist das Handelsblatt etwas gründlicher als der Hamburger Neuzugang, zur Schleswig-Holstein-Wahl gibt’s die obligatorische Wahlanalyse, die in der FTD vom Dienstag sträflich fehlt – vielleicht fühlt sie sich für so etwas zu weltmännisch.

Dafür entschädigt der freiere Blick im dreiseitigen Kommentarteil, der auch mal die Gründe der US-Regierung für ihren Druck gegen einen deutschen Währungsfonds-Chef analysiert, statt wie das Handelsblatt die nationale Karte zu ziehen und eine antideutsche Verschwörung von Amerikanern, Franzosen und Briten zu wittern.

Wie unterschiedlich die Blätter funktionieren, illustriert auch die Wochenendbeilage. Beide Zeitungen haben die angehme Angewohnheit, auf eine Samstagsausgabe zu verzichten (und ihren Lesern das Wochenende freizugeben). Zum Schmökern gibt es am Freitag ein Wochenendmagazin dazu. Im Handelsblatt freilich überwiegen Aktien- und Karrieretips „IT plus Banking mausert sich zu einem vielversprechenden Karriereprofil“. Dazu ein wenig Lifestyle, etwa über die Krawatte „als Symbol der Männlichkeit“. Das klingt alles noch sehr nach Büro.

Mit solchem Kleinkram gibt sich die FTD nicht ab. Im Aufmacher ihrer „Weekend“-Ausgabe wird erklärt, wie man verhindert, dass die eigenen Kinder am Überflusssyndrom erkranken – schließlich droht solches unweigerlich, wenn man erst mal Multimillionär ist. Dazu die unvermeidlichen Berichte über Zigarren und den Porsche 911 Turbo („in 4,2 Sekunden auf Tempo 100“), bei denen endlich die PR ins Blatt findet.

Die beiden Blätter sind etwa so unterschiedlich wie Spiegel und Focus. Letzterer fand mit konservativ gehaltenen Nutzwert seinen Platz lässig neben dem Spiegel – ohne dass der groß Auflage lassen musste. Ähnliches könnte der FTD mit respektloserem Wirtschaftsjournalismus gelingen. Allerdings verpasste sie die Chance, mehr zu bieten. Sollte die FTD scheitern – was ihr nicht zu wünschen ist –, dann, weil sie nicht so konsequent war, sich auch Sport zu leisten und einen Kulturteil, den es in der Testphase sogar schon gab. So hätte man auch Leser gewinnen können, die nicht aus beruflicher Pflicht auf Wirtschaftsnachrichten achten müssen. Und die FTD wäre mehr als eine Zweitzeitung geworden.