Handys sind nie allein

■ Hannover hat auch die CeBit 2000 glücklich überstanden. Wie immer begann die heiße Party erst nach Dienstschluss hinter dem Stand

Tristesse am Bahnhof von Hannover. Nichts ist fertig. Zum Glück verhängen große Plakatleinwände, mit Internetwerbung bedruckt, die schlimmsten Baustellen. Dann die Straßenbahn. Die 8 soll direkt zum Messegelände fahren. Tut sie aber nicht, Hannover ist total überlastet. Im Regen drängen sich Männer in Anzügen und grellen, mit Internetadressen bedruckten Jacken unter die Straßenbahnhaltestelle.

Nach 15 Minuten ist immer noch keine Bahn in Sicht. Irgendwann kommt doch noch eine, und alle drängen sich rein. In der Bahn Frauen, die zum Einkaufen fahren. Die mischen das männliche Potenzial ein wenig auf. Aber so richtig passen tut’s auch nicht. Die IT-Menschen und die Hausfrauen. Die einen machen den anderen das Leben leichter und angenehmer, die anderen auch.

Bevor ich noch auf dem Messegelände ankomme, werde ich zweimal gefragt, was ich am Abend vorhabe. Das wird so den Tag über weitergehen. Die Luft in der Bahn ist schwer von Funksignalen. Alle paar Minuten klingelt ein Handy, und der Schaffner hat’s nicht leicht. Das Warnsignal für die Türen, die sich öffnen, geht unter im Gebimmel der Handies. Man kann die Funkwellen regelrecht in den Körper eindringen spüren.

Endlich da. Schon hatte ich ein angenehmes Gespräch mit einem Ingenieur von Ericsson angefangen. Was denn die neue Innovation der Ericsson Handys sei, will ich wissen. „Man kann jetzt mit seinen Freunden chatten“, kommt als Antwort. „Aha“, denke ich mir. Das ist ordentlich. Ich kann nun also per Telefon mit meinen Freunden reden. Darauf habe ich jahrelang gewartet.

Vorbereitet habe ich mich nicht auf die CeBit 2000. Ich will mich überraschen lassen. Will keine Erwartungen haben, will nur staunen. Das tue ich dann auch. Aber nicht über den technologischen Fortschritt und die Innovationen. Als erstes staune ich über eine Figur in einem spermatisch-blauen Anzug, die mir entgegenkommt und mir einen Flyer mit einer Internetadresse in die Hand drückt.

Spermatische Kostüme scheinen heuer der Hit zu sein. Vollkörpergymnastikanzüge über Menschen gestülpt. Darf man das? Und werden die auch ständig gefragt, was die am Abend machen? Immerzu bekomme ich irgendwelches nutzloses Zeugs in die Hand gedrückt. Zum Beispiel die blaue Schaufel von Motorola. Ich frage, was denn die symbolische Bedeutung dahinter sei. Nicht nur mich frage ich, sondern laut, denn ich weiß keine Antwort darauf. Aber die Jungs sagen, ich soll die einfach nehmen. Hat keine Bedeutung.

So schleppe ich für den Rest des Tages eine blaue Schaufel mit mir rum, auf die ich mich nicht mal stützen kann. Bei e-bay gibts ein Lebkuchenherz auf dem „e-bay“ draufsteht. Das darf ich nicht essen. Das soll ich mir um den Hals hängen und damit rumlaufen. Es laufen nämlich parallel zu mir Fotografen mit digitaler Kamera rum, die Leute mit umgehängten Lebkuchenherzen fotografieren. Die schönsten Bilder werden dann ins Netz gestellt, und der Kandidat mit dem allerschönsten Bild kann eine Reise nach Israel gewinnen.

Ich beschließe, das Herz lieber einzupacken und einem Freund zu geben. Ich will doch nicht mit einem Lebkuchenherz auf irgendeiner Internetseite landen und sei’s auch auf der von e-bay. Viag-Interkom hat den Hit unter den Geschenken. Da gibt es „Stitze“, das sind Fahrradsättel mit langer Stange untendran, die man sich umhängen kann. Endlich was Nützliches, denn Sitzgelegenheiten gibt es auf der CeBit wahrhaftig wenige. Leider ist die Schlange vor diesen Stitzen so groß, dass ich keinen in die Hand gedrückt bekomme. Ich begnüge mich daher mit einer großen, fett bedruckten Papiertüte, in die ich all die Zettel mit Internetadressen reintun kann.

Wirklich erstaunen tun mich auch die Koreaner, die geduldig in Halle 13 ausstellen. Eine ganze Messegasse haben die da belegt und zeigen Computergehäuse. Graue hohle Kästen. Manchmal sind die Kästen etwas mutiger bedruckt, dann sind die Knöpfe in Pink oder gar in Gold.

Ich nähere mich vorsichtig einem solchen Stand, und schon ist es zu spät. Voller positiver Energie hat mich einer dieser Koreaner aus der Menge entdeckt und verpasst mir einen langen Vortrag über Computergehäuse. Dafür will er meine Visitenkarte. Ich täusche vor, keine zu haben, da schiebt er mir einen Zettel vor die Nase, in den ich mich eintragen soll. Das tu ich und freu mich schon unglaublich auf die vielen Infos, die mir in den Briefkasten flattern werden. Weit weg von der CeBit.

Ein Stand wirbt mit dem Satz „Wir gestalten Ihre Kommunikation.“ Nur bleibt fast niemand stehen, das ist einer der am wenigsten besuchten Stände überhaupt. Seltsam, denn die Kommunikation, so wird mir klar, ist das Hauptleitthema auf der CeBit in dieses Jahr. Das Schlagwort heißt „telephony“. Wap-Anbieter an jeder Ecke, nur mein eigenes Handy funktioniert nicht. Die Luft ist so überladen. Ich muss jedes Gespräch mindestens viermal anwählen.

Kommunikation gibt es bei Philipps aber auch mit einer, wie sollte es anders sein, sexy Avatar-Dame auf dem Bildschirm. Ihre Brüste sind klar unter dem Latexoberteil abgezeichnet, ihr Mund ist groß und ihre Stimme kenne ich aus den Werbungen im Spätnachtprogramm. Der mutige Messebesucher darf mit ihr über ein Telefon reden, sie schaut ihn von oben herab von ihrem Bildschirm aus an und gibt Anweisungen. „Jetzt leg mal deine Tasche beiseite“, flüstert sie lasziv. Dann lässt sie den mutigen Messebesucher ein Spiel spielen. Inhalt hat es wenig, und sie sagt ihm immer, wo es lang geht. Nicht der mutige Messebesucher kontrolliert die Technik, nein, er wird von dieser Dame kontrolliert. „I want you to go further ...“ flüstert sie wieder. Der mutige Messebesucher fängt langsam zu schwitzen an, und ich gehe weiter.

Mittlerweile bin ich völlig betört vom white noise, dem ungehörten, aber vielgespürten Computergesimmsel. Ich kann mich ihm nicht entziehen, merke aber deutlich, dass verschiedene Stände versuchen, ihm entgegenzuwirken. Ihre Einrichtung spekuliert das Gefühl der Ruhe.

Was mit „ruhig“ gemeint ist, hat viele Facetten. Für eine deutsche Firma scheint die Ruhe an der Ostsee ein Sinnbild zu sein. Darum schmücken sie ihren Stand mit kleinen Booten, Sand, der zwischen den Zehen rieseln würde, wäre man barfuß, kleinen Rettungsringen und aufgemalten Ziermöven. Debis versucht sich auf High-Tech-Zen. Kieselsteine, Bambus und plätscherndes Wasser werden auf einem Fernseher gezeigt. Das Licht, in das alles getaucht ist, ist grün.

Sonys Ansatz für die Oase ist eine Glaspyramide, die den Stand vom Rest abschirmt. Auch sie ist grünlich beleuchtet. Zwischen den Glaswänden ist es angenehm. Manchmal erwische ich beim Vorbeilaufen die eine oder andere Showeinlage. Einmal singt eine Tina-Turner-Imitation, ein anderes Mal treiben es zwei Jungs in Fußballuniform auf der Bühne miteinander in Zeitlupe.

Diesen Bezug zur CeBit verstehe ich gut. Denn abends passiert dasselbe mit gemischten Pärchen hinter den Ständen. Dann aber nicht in Zeitlupe. Nach 18.00 Uhr ist auf der CeBit nämlich noch mehr die Hölle los als tagsüber. In jeder Halle gibt es Standpartys, und die sind legendär. Eine Menge IT-Männer und Standmädchen tummeln sich da beim freien Alkohol. Eingeladen sind alle, die noch da sind. Es wird wild getanzt, das Make-up zerfließt, und die gute Laune wird von der Musik bestimmt. Keine High-Tech-Musik, sondern Schlager wie Dschinghis Khan. Ein etwas angetrunkener Standmensch heult sich bei mir aus. Er hat Liebeskummer. Bevor er abgereist ist, hat ihm seine Freundin ein Drama gemacht. „Du gehst auf die CeBit, ich weiß doch ganz genau, was du da tun wirst.“

Aber wo sind nur all die vielen Menschen untergebracht? Hannover wird ja nur ein paar Mal im Jahr von Menschen bevölkert. Darum gibt es nie genug Hotels. Ich treffe eine Journalistin aus Belgien, die mit zwei anderen Journalisten von anderen belgischen Blättern mit einem Wohnmobil angereist kam. Da gibt es einen extra Messecampingplatz. Das sei sehr schön, sagt sie.

Ein anderer erzählt mir, er komme nun schon zum zehnten Mal und übernachte immer in Privatunterkünften. Dieses Jahr habe er Glück, denn die Familie sei seinetwegen ausgezogen. Es gebe also keine Gespräche am Abend unter dem Hirschgeweih. Ich selbst mache mich auf den Nachhauseweg. Ich habe einen Platz im Hotel, da kann ich noch ein wenig Fernsehen und mir anschauen, was es dieses Jahr für Innovationen auf der CeBit gibt Michaela Vieser

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