Schöner Gleichmut

Die Hure als Heilige: Amos Kolleks Film „Fiona“ bewegt sich mitunter an der Grenze zur Götzenanbetung ■ Von Philipp Bühler

„Sue“, Amos Kolleks erste Zusammenarbeit mit Anna Thomson, war eine seltsam romantische Tragödie vom langsamen Scheitern einer jungen Frau. Am Ende konnte sie Armut und Obdachlosigkeit nicht mehr entrinnen. Sein neuer Film „Fiona“ nimmt den Faden wieder auf. Wo die eine gestorben ist, wird die andere geboren. Ganz unten, als Tochter einer New Yorker Prostituierten. Doch während Sues Scheitern immer auch Chance bedeutete, ist Fiona jeder Ausweg von vornherein verbaut. Die Prostitution ist ihr Leben, und sie weiß das.

Fionas Nüchternheit produziert einen verstörenden Widerspruch. Ihr Leben ist roh, gewaltsam und tragisch. Sie selbst ist aber keine tragische Figur, sondern ein ganz und gar seltsames Wesen und die unwahrscheinlichste Hure der Welt.

Sollte sie die Sehnsucht nach etwas Besserem spüren, verbirgt sie das gekonnt hinter ihrer graziösen Gleichgültigkeit, die sich bald als schöner Gleichmut entpuppt. Ob sie mit ihrer Freundin oder mit einem Freier ins Bett geht – nie ist klar, wem sie nun ihre Seele und wem sie ihren Körper schenkt. Denn die beiden scheinen bei ihr längst verschmolzen. Drogen braucht sie jedenfalls nicht. Allein das macht sie in ihrem Milieu einzigartig.

Doch ihre wilde Freiheit, diese Verwirklichung eines west-östlichen Wunschtraums vom entgrenzten Individuum, gründet im soziopsychologischen Desaster: Im Kinderwagen ausgesetzt, schon als Neunjährige missbraucht, hat Fiona einfach früher als andere gemerkt, dass Sex die Antwort auf alle Fragen ihres Universums ist. Und damit – zumindest an der Oberfläche – ein Verhältnis zu ihrem Körper gefunden, das keine Scham kennt und Lust und Schmerz gleichermaßen verarbeiten kann.

Ganz so unideologisch, wie es die drastischen Bilder von Blowjobs und Vergewaltigungen suggerieren wollen, ist Kolleks Hardcore-Realismus also nicht. Denn wie so oft, wenn Männer Frauenfilme machen, ist das Ergebnis auch hier ein Heiligenbild. Zugegebenermaßen ein unkonventionelles. Doch dass Anna Thomson von Kritikern bevorzugt als „die Göttliche“ hagiographiert wird, verdankt sich genau der klassischen Heiligenmixtur von Stolz und Einsamkeit, auf die Männer eben stehen.

An der Grenze zur Götzenanbetung bewegt sich „Fiona“ vor allem in den Passagen, die Kollek mit einfachsten Mitteln in einem originalen Crack-House gedreht hat. Hier spielen die drogensüchtigen Laiendarsteller sich selbst. Böse ausgedrückt: mit ihren ausgemergelten Körpern voller Einstichlöcher liefern sie den Kontrast zur zarten Anna Thomson mit den Riesenbrüsten, auf die die Kamera immer einen Tick zu lang hält, als dass man Kollek nicht einen Hang zum Voyeurismus vorwerfen könnte. Andererseits muss man seinen Mut bewundern, mit dem er den Realismus an die Grenze des Erträglichen führt. Geschickt zwingt sein Wille zur Authentizität den Zuschauer genau zu dem Punkt, an dem man sich das Elend noch viel schlimmer vorstellen könnte. Nicht weiter.

Etwas zurücklehnen kann man sich aber erst in den eindeutig fiktiven Szenen. Ein paar spärliche Jazzklänge genügen, um auch den drastischsten Realismus wieder als Film erkennbar zu machen. Fiona wandert über den Asphalt, begeht harmlose Ladendiebstähle, führt Gespräche mit Freunden und solchen, die es werden könnten. Natürlich ist sie hier nicht weniger heilig. Oder ist es die pure Güte, dass sie einer Mittelklassefreundin mit ihren letzten tausend Dollar aushilft? Als die Unergründliche eben mal drei Polizisten aus der Hüfte abknallt, zögert man jedenfalls keine Sekunde, ihr das zu verzeihen.

Erst durch die Begegnung mit ihrer Mutter wird sie wieder Mensch und schließlich Opfer der Situation, in der sie lebt. Aber sie ist auch Opfer des Independent-Kinos, das auf seine Märtyrer nicht verzichten kann. Thomson und Kollek betonen immer wieder, dass ein guter Ausgang ihren Filmen jeden Sinn rauben würde. Schließlich ist die Welt gegen Menschen wie Fiona und Sue. So einfach ist das, und so muss man es auch zeigen.

Wahren Mut beweist aber vor allem Anna Thomson, die „Fiona“ schon durch ihre Haltung zu einem Muss für Independent-Fans macht. Während sich Amos Kollek bis heute ausdrücklich weigert, ähnliche Qualen einem männlichen Protagonisten aufzuerlegen – die Produktion eines Alter Ego ist ihm „zu selbstreflexiv“ –, gibt sie hier alles. Nicht nur im, sondern auch durch den Film. Man muss sich klarmachen, dass sie für „Fiona“ eine Mainstreamlaufbahn abgebrochen hat. Nachdem sie sich von Nebenrollen in „The Crow“ und „True Romance“, zu Clint-Eastwood-Filmen hochgearbeitet hat, tut sie hier Dinge, die sich ein Major-Star schlicht nicht leisten darf. Diese Umkehrung gängiger Karrieremuster ist geradezu revolutionär.

„Fiona“. Regie: Amos Kollek. Mit Anna Thomson, Felicia Maguire, Alyssa Mulhern, Anna Grace. USA 1998, 85 Min.