: Brutale Aufklärer greifen hart durch
Die taz wird von einem Skandal gigantischen Ausmaßes erschüttert. Die Finanzierung der Layoutreform bringt dunkle Quellen zu Tage. Eine notwendige Chronik der Ereignisse, deren Auswirkungen auf das Pressewesen heute noch nicht abzusehen sind
Damit hatte niemand rechnen können. Ausgerechnet die taz. Sie, die als letzte große Aufklärerin in die Zeitungsgeschichte eingehen wollte. Es seien „rückblickend sicher Fehler gemacht worden“, erklärte CvD Klaus Hillenbrand später vor einem Sonderausschuss der Wahrheit-Kommission. Hätte sie von den Vorgängen seinerzeit gewusst, beteuerte Chefredakteurin Bascha Mika in einem ZDF-Interview, „wäre sie in die Luft gegangen“. Dass sie es schließlich buchstäblich tat, hatte zu diesem Zeitpunkt niemand in der Redaktion ahnen können.
Aber der Reihe nach. Die skandalösen Ereignisse in der taz sollen von Anfang erzählt werden – in einer Chronik der vergangenen Woche, wie sie sich nach ersten Befragungen und Erkenntnissen von Beteiligten und Zeugen der Wahrheit darstellen.
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Montag, 28. Februar 2000, 9.05
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Der Mann im Trenchcoat sei auch an diesem Montag wieder pünktlich im ersten Stock des taz-Gebäudes erschienen, wie sich Ahmad vom Empfang genau erinnert: „Jeden Tag kam der und sagte dann: ‚Ich heiße Liechtenstein.‘ Und wie immer ist dann Klaus Hillenbrand, der Chef vom Dienst, gekommen. Und Liechtenstein hat ihm einen großen grauen Umschlag in die Hand gedrückt. Dann ist er wieder gegangen.“ Wie Zeugen beobachteten, sei Hillenbrand anschließend in sein Büro gelaufen und habe den Umschlag in einem hinter dem Mao-Tsetung-Bild versteckten Wandtresor deponiert.
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Dienstag, 29. Febr. 2000, 9.45
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Auf ihrer nagelneuen Harley-Davidson erscheint Feuilletonchefin Brigitte Werneburg zur Arbeit und transportiert die schwere Maschine mit dem Lastenaufzug in den vierten Stock, um sie vor ihrem Schreibtisch zu parken.
Im 2. Stock ist zur gleichen Zeit ein lautes Stöhnen zu hören. Wirtschaftsredakteur Matthias Urbach soll in südafrikanisches Silber investiert haben. Allerdings seien die Silberpreise über Nacht ins Bodenlose gefallen und die Papiere jetzt nicht mal mehr ihre Druckfarbe wert.
In Bermudashorts und Hawaiihemden lümmeln die Sport-Redakteure Matti Lieske und Bernd Müllender auf ihren Strandliegen und lassen den knöchelhoch aufgeschüttenen Sand durch die bloßen Zehen rieseln. Am Stamm der 3.50 Meter hohen Ananaspalme hängt ein gelbes Warnschild: „Nur für Männer mit rasierten Beinen.“
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Mittwoch, 1. März 2000, 8.50
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Auf seinen von ungarischen Schustern handgefertigten Krokodillederschuhen, die er heute stilsicher zum gestreiften Kammhaaranzug von Versace gewählt hat, betritt Dominic Johnson die Auslandsredaktion. In der Ecke steht Barbara Oertel vor ihrer neuen, wandgroßen Korrespondenten-Weltkarte: „Haben wir schon jemanden in Murmansk?“ fragt sie über die Schulter und setzt behutsam ein weiteres funkelndes Fähnchen in das mit diamantenen Nadeln übersäte Russland. Meinungsmacher Rüdiger Rossig streichelt derweil zärtlich die Rücken der vierzigbändigen Encyclopedia Britannica. Durchs Treppenhaus flattern mehrere Hunderter, die vermutlich Hillenbrand in der CvD-Eile verloren hat. Eine erste Unruhe kommt im Haus auf.
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Donnerstag, 2. März 2000, 14.00
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Aus den Räumen des taz-mag dringt der Duft frischgebratener Entenbrust. Seit einiger Zeit stapeln sich vor der Tür Dosen Trüffelkonzentrat. „Nieder mit dem Sale e Tabacchi“, lassen die mag-Redakteure Reinhard Krause und Jan Feddersen Champagnergläser klingeln: „Und jetzt her mit den Abruzzendingern“ – womit offenbar ein besonders feiner Rosé gemeint ist.
Während erste Gerüchte über einen Skandal kursieren, macht Tagesthemaredakteur Stefan Kuzmany gelangweilt seine Runde durchs Haus und spricht in sein Satellitentelefon. Er müsse sich um die größeren Zusammenhänge kümmern, wehrt er ein Artikelangebot des Inlands ab und verweist auf die drei Kräfte, die er für das „Dröge Thema“ verpflichten konnte.
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Freitag, 3. März 2000, 10.15
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Die Ereignisse überschlagen sich. Der Eklat ist nicht mehr zu stoppen. Auf der Treppe kann CvD Klaus Hillenbrand gerade noch abgefangen werden, als er mit einem schwarzen Koffer in der Hand aus der Tür zu huschen versuchte. „Wie hätten wir das Redesign denn anders bezahlen sollen“, verteidigt sich Hillenbrand in der sofort anberaumten Notkonferenz. Die nach außen angegebenen Zahlen von 250.000 DM Kosten für das neue taz-Design und die große Werbeaktion seien doch lächerlich. Jeder, der etwas vom Zeitungsgeschäft verstehe, habe das ahnen können. Offenbar hatte Hillenbrand alle Mitwisser im Haus mit Zuwendungen zum Schweigen gebracht. „Ich habe Fehler gemacht, aber mein verantwortungsvoller Beitrag zur rückwirkenden Aufklärung darf als Gewinn für die Glaubwürdigkeit meiner Person und der taz insgesamt gewertet werden“, versucht er gekonnt,den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Der geöffnete Koffer liegt vor ihm: „Noch rund 4,1 Millionen“, peilt Hillenbrand über den Daumen. Das Geld stamme von den geheimen Auslandskonten der taz, die eine eigens ins Leben gerufene Stiftung verwalte.
Verblüfft verfolgt Medienredakteur Steffen Grimberg das Geschehen. Am ansonsten glänzend informierten Medienressort sind die Ereignisse bislang komplett vorbeigegangen. „Jetzt rollen Köpfe“, freut sich Barbara Dribbusch, während ihre Inlandskollegen krakeelen – beleidigt von der Tatsache, dass sie bei den internen Zahlungen schlichtweg übergangen wurden.
Als Altpolitologe Christian Semler beginnt das „Kapital“ zu zitieren, zieht Chef Peter Unfried endlich seine Smith & Wesson, mit er schon manche Konferenz beendet hat. Ein Schuss löst sich und verfehlt Wahrheitredakteur Christoph Schultheis nur knapp. Von der Decke spritzt der Putz. Säzzer Georg Schmitz sinkt ohnmächtig zu Boden. Christian Specht eilt helfend herbei. Die Lichter flackern. Das Dunkel ist undurchdringlich. Schreie hallen durch den Saal. Unfried hat das Hauptversorgungskabel getroffen. Mit einer eleganten Geste wirft Chef Thomas Eyerich den Hebel für das Notstromaggregat um. Die stotternden Neonleuchten blenden. Zweihundert Augen starren auf den Tisch. Der Koffer!
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Samstag, 4. März 2000, 12.00
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Am New Yorker Kennedy-Flughafen glaubt USA-Korrespondent Peter Tautfest Chefredakteurin Bascha Mika an einem Schalter der südamerikanischen Aerolineas Argentinas gesehen zu haben. Als Gepäck habe sie nur einen schwarzen Aktenkoffer dabei gehabt.
Gäbe es nicht die Wahrheit, die Feindin der Lüge, die Mutter der Glaubwürdigkeit, die Nichte der Klarheit ... – ohne die brutalst mögliche Wahrheit wären die entsetzlichen Hintergründe des neuen taz-Layouts niemals so rückhaltlos aufgeklärt worden.
MICHAEL RINGEL
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