Ken Livingstone spaltet Labour

Großbritanniens linker Blair-Schreck Livingstone erklärt seine Kandidatur für das Londoner Bürgermeisteramt – gegen den offiziellen Labour-Kandidaten. In den Umfragen liegt er weit vorn

von RALF SOTSCHECK

Er konnte der Versuchung nicht widerstehen: Ken Livingstone vom linken Labour-Flügel hat gestern bekannt gegeben, dass er kandidieren wird, wenn der Londoner Bürgermeister am 4. Mai zum ersten Mal direkt gewählt wird. Das hat seinen Ausschluss aus der Labour-Partei zur Folge, denn die hatte vor zwei Wochen den früheren Gesundheitsminister Frank Dobson zum offiziellen Labour-Kandidaten gewählt.

Livingstone erklärte seine Kandidatur in einem Artikel der Londoner Abendzeitung Evening Standard. „Worum es für Londoner Wähler jetzt geht, ist, ob unser erster direkt gewählter Bürgermeister wirklich Selbstverwaltung für die Hauptstadt bedeutet oder ob er eine Fassade sein wird, wo alle wirklichen Entscheidungen zentral getroffen werden“, schrieb er. „Man hat mich gezwungen, zwischen meiner geliebten Partei und dem demokratischen Recht der Bürger Londons zu wählen.“ Es sei die schwerste Entscheidung seines Lebens gewesen. „Ich werde keine neue politische Partei aufstellen und hoffe immer noch, eines Tages zur Labour-Partei zurückzukehren.“

Seit seiner knappen Niederlage am 20. Februar im parteiinternen Wahlverfahren für die Labour-Bürgermeisterkandidatur war über Livingstones Kandidatur spekuliert worden. Er hatte nur verloren, weil die Parteiführung unter Tony Blair das Wahlverfahren so geschickt manipuliert hatte, dass der „offizielle“ Kandidat Dobson gar nicht verlieren konnte. So erhielt Livingstone 74.000 Stimmen gegen 24.000 für Dobson, aber das reichte nicht, weil das Votum der Londoner Labour-Abgeordneten genauso viel Gewicht hatte wie das der Gewerkschaften und der 62.000 Parteimitglieder. Ausschlaggebend für Livingstones Kandidatur waren Meinungsumfragen: Die Hälfte der fünf Millionen Stimmberechtigten in London will ihn nach derzeitigem Stand wählen, Dobson liegt bei 22 Prozent und der Konservative Steve Norris bei nur acht Prozent.

Ob das so bleibt, ist allerdings fraglich. Mit seiner Kandidatur spaltet Livingstone die Partei und führt Labour in die potenziell größte Krise seit den frühen 80er-Jahren. Die Führung von New Labour wird in den nächsten acht Wochen alles daransetzen, den „roten Ken“ zu diskreditieren. Dobson gab gestern einen Vorgeschmack darauf, als er – eine Stunde nach Livingstones Presseerklärung – den Startschuss für seinen Wahlkampf gab. Er wolle „London zur besten Stadt der Welt“ machen, sich um Arbeitsbeschaffung und Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs kümmern, vor allem aber die steigende Verbrechensrate mit mehr und besser ausgerüsteten Polizisten bekämpfen, sagte er. Das interessierte gestern aber wirklich niemanden. Im Vordergrund standen Dobsons persönliche Angriffe auf Livingstone: „Er ist ein Lügner“, sagte Dobson. „Er hat immer behauptet, der Labour Party gegenüber loyal zu sein. Nun ist er der Anti-Labour-Kandidat. Er wäre ein Desaster für London.“

Steve Norris hofft nun, er könnte lachender Dritter sein. „Die Labour-Parteimaschine ist für Dobson, die Aktivisten sind für Livingstone“, sagte er. „Ich freue mich unbändig darüber.“ Er empfahl Dobson, einen ausgedehnten Urlaub anzutreten: „Er hat keine Chance.“ Und Livingstone, so prophezeite Norris, werde „wie Bergarbeiterführer Arthur Scargill und die anderen Hitzköpfe“ in der Versenkung verschwinden.

Genau diese Aussicht hatte Livingstone lange Zeit vor einer unabhängigen Kandidatur zurückschrecken lassen. Zugleich hatte der frühere Leiter des Großlondoner Stadtrats von 1981 bis zu dessen Abschaffung durch die Thatcher-Regierung 1986 jedoch immer gesagt, er denke unablässig daran, wie er London regieren könne, und seine politische Karriere hatte sich nie richtig von seiner Entmachtung 1986 erholt. Nur für die linken Parteiaktivisten wurde er in den letzten Jahren zur Führerfigur im Kampf gegen New Labour.

Seine Kandidatur ist damit eine Kriegserklärung an Premierminister Tony Blair. Der ist bereits voll darauf eingestellt. „Er wäre Londons Ruin“, sagte Blair gestern über Livingstone. „Aber wenigstens habe ich das nicht mehr zu verantworten. Das müssen jetzt die Wähler entscheiden.“