Bevor das Morden beginnt

Hier die Serben, dort die Albaner. In Bujanovac hält sich jeder an die sauber gezogenen ethnischen Grenzen. Das Einzige, was alle verbindet, ist Angst

aus Südserbien ANDREJ IVANJI

In der südserbischen Provinzstadt Bujanovac, etwa zwanzig Kilometer von der administrativen Grenze zum Kosovo entfernt, weiß jeder, wo sein Platz ist. In einem Stadtteil leben Serben, im anderen Albaner und in den Randbezirken Roma.

Man hält sich hier an die sauber gezogenen ethnischen Grenzen, stets bemüht, den „Lebensraum“ der anderen nicht zu verletzen. Zwar bewegen sich tagsüber alle frei in den Straßen, doch zwischen Serben und Albanern gibt es keine privaten Beziehungen mehr. Jede Gruppe hat ihre eigenen Kneipen, serbische und albanische Kinder gehen in getrennte Schulen. Das Einzige, was die Menschen verbindet, ist Angst.

„Merkst du, wie gehetzt und misstrauisch die Menschen hier sind. Etwas braut sich in dieser Stadt zusammen. Genauso war es im Kosovo, bevor das Morden angefangen hat“, sagt der Bauer Milorad (40), der vor einem Jahr aus Priština geflüchtet ist. Mit dem Einbruch der Dunkelheit wage sich hier niemand mehr auf die Straße. Bald werde er in den Norden Serbiens ziehen, „bevor es zu spät ist“. Furcht und Unsicherheit lähmen das Leben in Bujanovac, eine der drei noch ethnisch gemischten Städte in der Region. Serben beschuldigen „albanische Terroristen“, den bewaffneten Widerstand in Südserbien zu provozieren, um eine Intervention der Nato zu erzwingen. Albaner beklagen sich über Repressionen der serbischen Polizei.

Die albanische „Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac“ (UCPMB) hat die Verantwortung für die „Liquidierung“ serbischer Polizisten und serbienloyaler Albaner in Südserbien übernommen. Am Samstag kam es im Dorf Dobrosina unweit von Presevo zur ersten größeren Auseinandersetzung zwischen der UCPMB und der serbischen Polizei. Dobrosina liegt unmittelbar an der Grenze zum Kosovo, die amerikanische KFOR-Truppen kontrollieren. Die KFOR erklärte, etwa 170 albanische Zivilisten seien nach der Schießerei in das Kosovo geflüchtet. Die UCPMB verkündete, sie wolle die „albanische Zivilbevölkerung beschützen“, die den serbischen Kräften schutzlos ausgeliefert sei.

„Natürlich würden die Albaner im Süden Serbiens am liebsten dieses Gebiet an das Kosovo angliedern, das haben sie 1993 nach einem Referendum entschieden. Doch sie haben hier nicht die gleiche Kraft wie im Kosovo. Und die Serben in Bujanovac sind entschlossen, sich bis zum letzten Mann zu verteidigen“, sagt ein einflussreicher serbischer Geschäftsmann. Seinen Namen will er nicht nennen, weil er auf der „Abschussliste“ der UCPMB stünde.

Bujanovac, wo immer noch viele Serben leben, sei ein „Dorn im Auge albanischer Separatisten“. Mitten im Gespräch steht der Direktor auf und zeigt auf einer militärischen Landkarte, wo man einen eventuellen Angriff der Albaner abfangen würde. Immerhin sei in dieser Region die gesamte dritte jugoslawische Armee stationiert, die sich aus dem Kosovo zurückziehen musste.

Im Gegensatz zu den Kosovo-Albanern haben die etwa 60.000 Albaner im Süden Serbiens den serbischen Staat bisher nicht boykottiert. Im schäbigen Büro der albanischen Partei der demokratischen Veränderung (PDD) in Bujanovac werden die Sympathien jedoch klar: Hier hängt ein Bild von Ibrahim Rugova mit der Beschriftung „Präsident der Republik Kosovo“.

Ein Mitarbeiter versucht sofort, Riza Haljimi, PDD-Chef und Bürgermeister von dem zu 95 Prozent von Albanern bewohnten Presevo, telefonisch zu erreichen. Die Leitungen sind besetzt. Wie üblich. Eifrig klären die Mitarbeiter da den Besucher auf, dass Haljimi ein „großer Mann“, ein „weiser Politiker“ und ein „wunderbarer Mensch“ sei.

„Wir haben bis jetzt an allen Wahlen in Serbien teilgenommen. Unsere Kinder lernen zwar in albanischer Sprache, doch nach serbischen Programmen“, sagt Irfam Dzeljadini, Abgeordneter der PDD im Stadtparlament von Bujanovac. Die PDD habe bisher erst mit geringem Erfolg versucht, ihre nationalen Interessen in Serbien zu verwirklichen. Ob die PDD auch an den kommenden Lokalwahlen teilnehmen würde, wisse er nicht. Die Albaner seien in allen Lebensbereichen benachteiligt, in serbischen Unternehmen fänden sie keinen Job. Auch Dzeljadini fürchtet ein Blutvergießen, wie im Kosovo. Zwar schließt er „so, wie die Dinge liegen“, eine Intervention der KFOR im Süden Serbiens aus. Doch was, „wenn die serbische Polizei ein großes Massaker verrichtet?“.

Besonders angespannt ist die Situation in Presevo. Auf diese Gegend sind auch die jüngsten Übergriffe der UCPMB konzentriert, deren uniformierte und bewaffnete Mitglieder sich unmittelbar an der Grenze zum Kosovo offen bewegen und Fahrzeuge kontrollieren. Bürgermeister Haljimi behauptet, dass sich Truppen der jugoslawischen Armee in einer verlassenen Fabrik befinden. Sicher ist jedoch, dass die serbische Polizei die Straßenkontrollen verstärkt hat und in Panzerfahrzeugen patrouilliert.

In Presevo sind nur etwa 100 serbische Familien geblieben, auch der letzte Pfarrer der serbisch-orthodoxen Kirche des heiligen Dimitrius hat Presevo verlassen, weil er „Schikanen der Albaner ausgeliefert“ gewesen sei. Albaner beklagen sich, dass ihnen serbische Polizisten Geld wegnähmen und sie belästigten.

„Die Menschen in Bujanovac, Medvedja und Presevo leben im Niemandsland, eingezwängt zwischen der KFOR und der jugoslawischen dritten Armee. Diese ständige Ungewissheit treibt einen langsam in den Wahnsinn“, sagt der serbische Polizist Jovan, der sich per Anhalter auf dem Weg zu seiner Familie in Kragujevac gemacht hat. Jovan war auch im Kosovo im Einsatz. „So ist das Leben. Erst mussten die Albaner abhauen, dann haben wir den Schwanz eingezogen und sind weggerannt“, sagt er.

Auch im Süden Serbiens würde bald jemand abhauen müssen, ob „die oder wir“, das wisse er nicht. Wo immer im ehemaligen Jugoslawien Probleme zwischen den Volksgruppen aufgetaucht seien, seien sie mit ethnischer Säuberung gelöst worden.

Zwischen der jugoslawischen Armee und der KFOR wird die UCPMB, die ihren eigenen „Befreiungskrieg“ führt und serbische Polizisten ermordet, allmählich zu einem unberechenbaren Machtfaktor. Zwar wird die UCPMB von allen internationalen Organisationen kritisiert. Doch Serben und Albaner erinnern sich gut, wie die militante Kosovo-Befreiungsarmee (UCÇ), mit dem Heiligenschein „romantischer Partisanen, die für Menschenrechte kämpfen“, versehen wurde und nach dem Einmarsch der Nato in das Kosovo in alle zivilen Organisationen der Provinz eingebunden wurde.

Der Kommandant der dritten jugoslawischen Armee, Generalleutnant Vladimir Lazerević, beschuldigt die Nato, den Süden Serbiens „destabilisieren zu wollen. Sie wollen den äußerst komplexen Sicherheitszustand im Kosovo auch auf diesen Teil Serbiens übertragen“, sagt er. Niemand habe das Recht, die Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien einzuschränken, das gelte für das Kosovo wie für den Süden Serbiens.

Als grenzenlosen Zynismus empfindet man in Serbien die Warnungen der Nato und des amerikanischen UN-Botschafters Richard Holbrooke, Jugoslawiens Präsident Slobodan Milošević wolle im Süden Serbiens einen neuen Krieg anzetteln. Die Spannung dort wächst. Diese Region ist in dem im vergangenen Juli zwischen der Nato und der jugoslawischen Armee in Makedonien unterzeichneten „militärisch-technischen Abkommen“ zu einer Sicherheitszone erklärt worden. Und diese darf die jugoslawische Armee nicht verletzen. Wenn doch, ist die „KFOR berechtigt, in der Sicherheitszone Gewalt anzuwenden“.