Im Hinterhof explodieren Ärsche

■ Peter Unbehauens Buch „Dass ihr euch ja nich' schietig macht“ versammelt 111 Kinderlieder und -spiele von Hamburgs Straßen

Zwölf Jahre lang hat er für sein Buch recherchiert und dabei so etwa jeden Spielplatz und Hinterhof Hamburgs durchforstet. Seinen Informanten sang er „Häschen in der Grube“, „Dort oben auf dem Berge“ oder „Der Kaiser von China“ vor, um zu erforschen, welches Spektrum an Liedern er noch nicht kannte. Dass es eine derartige Menge an Reimen, uralten Kalauern, Klassikern und Kinderliedern zu entdecken gab, die der norddeutsche Volksmund seit dem 18. Jahrhundert hervorbrachte, war dem Musiklehrer Peter Unbehauen damals noch nicht klar. In seinem Buch Dass ihr euch ja nich' schietig macht versammelte er nun 111 Lieder und Spiele von Hamburger Straßen und Höfen und versah diese mit Noten – ein Kompendium für Nostalgiker, Erzieher, konsumüberflutete Kinderzimmer und seine Musikschüler.

„Manche Eltern reagieren pikiert, wenn sie ihre Kinder alte Kalauer mit Vulgärausdrücken singen hören“, berichtet der Pädagoge. „Der Zugang zur Musik ist bei Kindern aber leichter, wenn sie mit eindringlichen Melodien üben, die sie vom Schulhof kennen.“ Nicht wenige dieser Lieder unterlägen der Zensur durch das Elternhaus, offenkundig liefern die Inhalte mancher Stücke dazu Anlass. So spiegelt das Klatschspiel „Bei Müllers hats gebrannt“ die Zustände innerhalb des proletarischen Milieus vergangener Tage, als der Schutz der Intimsphäre nicht, wie heute meist selbstverständlich, gewährleistet war: Von Diebstahl, krachenden Busenhaltern und explodierenden Ärschen wird hier berichtet.

Das Buch enthält auch kurze Informationen über die Herkunft der Lieder und inhaltliche Abwandlungen im Laufe der Generationen. Diese Prozesse setzen sich bis in die Gegenwart fort. So etwa wurde aus dem altbekannten Lied „Im Märzen der Bauer...“ eine zeitgemäße Nonsens-Version: „Gedauen, gedauen, die Backstreetboys sind Frauen“, heißt es darin nunmehr. Unter Kindern funktionieren Liedüberlieferungen wie das Spiel „Stille Post“: Mehr oder weniger kreative Missverständnisse beim Hören und Wiedergeben zeitigen am Ende etwas womöglich vollkommen Neues und manchmal eben auch Sinnfreies.

Viele der in dem Band versammelten Lieder werden den meisten noch aus Schulzeiten geläufig sein – manche dagegen scheinen kurioserweise nur in bestimmten Stadtteilen gesungen zu werden. Hier wird es auch sozialhistorisch interessant. So berichtet die „Eimsbüttler Soziolgie“, in der auch die buchtitelgebende Zeile „Dass ihr euch ja nich' schietig macht“ vorkommt, von den „Fleu un Lüüs“ der Kinder aus der Marthastraat, wo die fischverkaufenden Gören sich gefälligst von den wohlsituierteren Eimsbüttler Sprösslingen fernzuhalten hatten.

Neben musikalischen Bildungsmethoden sowohl für den professionellen, als auch für Hausgebrauch will Peter Unbehauen eine „autarke kindliche Subkultur“ wiederbeleben und der Fernseh- eine Welt der Eigenkreation und -komposition entgegensetzen. Mit seiner Dokumentensammlung hat er jedoch auch gezeigt, wie vielfältig der Fundus von Kinderliedern und -spielen trotz allem noch ist.Andin Tegen

Peter Unbehauen: „Dass ihr euch ja nich' schietig macht!“, Dölling und Galitz, Hamburg 1999, 229 Seiten, 29,80 Mark