: Der singende Athlet
■ Mit T-Online in die Charts: Polar und die Quersumme seiner Errungenschaften
In der schönen, weiten Welt der Werbung ist alles immer so furchtbar klar. Eine Melodie, ein Blick, ein Produkt – und die Zukunft leuchtet wieder! Komisch nur, dass gelegentlich Typen in der Werbung landen, für die fast gar nichts klar ist. Schon gar nicht die Zukunft.
Erik Linder alias Polar ist so ein Typ. In seinem Song „Bipolar Dream“ hört er „all diese Stimmen in meinem Kopf“ – und landete damit in einem T-Online-Spot, der den jungen Mann aus Genf im vergangenen Jahr sogar kurz in die deutschen Charts hievte. Womöglich wäre noch ein längerer Aufenthalt daraus geworden, hätte der Werbepartner es nicht versäumt, explizit auf den Interpreten hinzuweisen. So gab es gewiss manche, die zwar den Song summen, aber dem Sänger im Plattensupermarkt ihrer Wahl nicht auf die Spur kommen konnten.
„Skeptisch“, so Linder, sei er anfangs schon gewesen, aber „die Images“ gefielen, und der Spot respektiere „den Geist des Songs“. Als die Anfrage kam, habe er lediglich gewußt, dass T-Online „irgendwas mit Internet“ zu tun habe und dann gern die Chance genutzt, „so viele Leute wie möglich“ zu erreichen. Allerdings: „Für Schweizer Banken hätte ich den Song nicht hergegeben.“ Eine verständliche Aversion, die allerdings eher persönlich denn politisch motiviert scheint. Des lieben Geldes wegen hatten seine Eltern – Mutter Irin, Vater Schweizer – einst die nestwarme Sippe in Carlow (südlich Dublin) Richtung Genf hinter sich gelassen. In der nun emotional unterbelichteten Kleinfamilie verzweifelte Klein-Erik zusehends.
Das Leiden daran sublimierte er zunächst sportlich: Linder gewann die Landesmeisterschaft im Querfeldeinlauf, startete später für die Schweiz über 800 Meter Bahn sogar bei Europameisterschaften. Doch das Laufen besänftigte „nur bestimmte Teile“ seiner Psyche. Erst die von seinem älteren Bruder angeregte Beschäftigung mit einer Gitarre kam einer Offenbarung gleich. Linder: „Da war dieses Gefühl, mit unbekannten Orten in mir in Kontakt zu kommen.“
Nun hofft er auf eine Zukunft jenseits pragmatischer Werbekontakte – nicht unbegründet angesichts seines zweiten Albums, das mit stilsicherem Minimalismus die Quersumme zieht aus alter Songkunst und neuer Soundspielerei. Für Jimmy Webb schwärmt Polar ebenso wie für alte und neue deutsche Elektronik. Kurios nur, dass der Spot-Song beinahe überhaupt nicht auf Bi gelandet wäre. Linder: „War mir zu poppig. Genau wie 'My Future Is Unclear'. Woraufhin mich ein Freund für verrückt erklärte. Die Leute werden diese Songs lieben, sagte er. Und sie sind auch ein Teil von dir. Oder magst du keinen Pop?“
Auch das Laufen mag Linder wieder, nach einer längerer Pause. Für Meisterschaften reichts aber nicht mehr. Leistungssport und Auftritte in deutschen Clubs vertragen sich halt schlecht. Jörg Feyer
Mo, 13. März, 21 Uhr, Schlachthof
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