Hard Wax Reality

Porträts an der Schnittstelle zwischen Künstlichkeit und Leben: Arbeiten des japanischen Fotografen Hiroshi Sugimotos in der Deutschen Guggenheim

von HARALD FRICKE

Bei den Werbeanzeigen funktioniert die Täuschung am besten. Catherine Howard blickt absolut lebensecht von ihrer Bibel auf. Die Mundwinkel sind leicht schmollend verzogen, die Augen irren schwermütig ins Weite. Zart blättern ihre Finger über die Seiten der Heiligen Schrift. Dabei ist Howard tot, sie wurde 1542 hingerichtet, von ihrem Mann, Heinrich VIII. Es ist dem japanischen Fotografen Hiroshi Sugimoto zu verdanken, dass die tragische Königin aus dem England von einst in Berlin präsent ist: In der Galerie der Deutschen Guggenheim wird sie in einer Porträtreihe mit 20 weiteren historischen Figuren ausgestellt.

Sugimoto interessiert sich für die Schnittstelle zwischen Künstlichkeit und Leben. Deshalb sucht er seine Motive in den Dioramen der Naturkundesammlungen und in Wachsmuseen – Orten, an denen die Wirklichkeit originalgetreu nachgebildet wird, lange vor Reality-TV. Bei Madame Tussaud zum Beispiel hat er Howard und die fünf anderen Frauen Heinrichs VIII. und Queen Victoria gefunden; in einem japanischen Wachsfigurenkabinett ist er auf die nachgestellte Szene des Abendmahls gestoßen. Die musealen Szenen wurden von Sugimoto wiederum so fotografiert, dass die Figuren zwischen Tod und Leben in der Schwebe bleiben.

Die reanimierte Natur aus dem Museum begeistert Künstler schon länger. Der Belgier Guillaume Bijl etwa leiht sich für seine Ausstellungen gleich die Originalexponate aus, um ihren Readymade-Charakter im Kontext der Kunst zu verdoppeln. Sugimotos Ansatz ist komplexer. Bei ihm wird nicht reproduziert, er transformiert die Objekte quer durch die Medien: Aus Gemälden für die Ahnengalerie wurden Vorlagen für Wachsfiguren, die Sugimoto in fotografische Porträts verwandelt. Am Ende bezieht sich sein Bildnis der trauernden Anna von Kleve ebenso auf das gemalte Vorbild Hans Holbeins d. J. als auch auf ihre materialisierte Darstellung in Wachs, Samt und Geschmeide.

Dabei dienen Gemälde durchaus auch konkret als Vorlage, um mit den Fotos an die ursprüngliche Atmosphäre heranzukommen. Sugimoto lädt seine Aufnahmen mit dem Schimmer eines in der Moderne vergessenen Kunstgriffs auf: Er setzt die Beleuchtung in den harten Kontrasten der Helldunkelmalerei der flämischen Schule ein. Überall ist der Hintergrund so schwarz wie sonst nur auf Rembrandts Gemälden. Insofern sind die Fotografien auch ein Kommentar zum Verhältnis zur Darstellung in der Malerei. Mehr noch, sie sind eine ironische Korrektur älterer Konflikte: Hatte nicht die Fotografie im 19. Jahrhundert das gemalte Porträt durch das eigene, sehr viel präzisere und weit kostengünstigere Abbildungsverfahren ersetzt?

Bei Sugimoto wird dieses Procedere ins Paradoxe gewendet. Jetzt ist es der Fotograf, der einen ungeheuren Aufwand an Recherche und Studiolicht braucht, um jenen schönen Schein wiederherzustellen, der früheren Gemälden fast selbstverständlich anhaftete. Sugimotos Porträts sind eine Verbeugung vor den Techniken der Malerei: eine Ehrerbietung, die in der japanischen Kunst gerade durch den Akt des Kopierens eingelöst wird.

Andererseits lebt Sugimoto seit 1970 in den USA. Bei aller Liebe zur handwerklichen Perfektion ist er lange genug mit Konzeptkunst aufgewachsen, um nicht bloß vergangenen Genres nachzueifern. Wenn er seine „Meeresansichten“ in Anlehnung an Gerhard Richters „Seestücke“ fotografiert, dann spiegelt sich in ihnen auch eine abstrakte Sicht auf Natur, die sich an der Geometrie von Landschaften orientiert. Die Porträts nehmen den entgegengesetzten Weg: Sie zeigen, dass ein gehöriges Maß an Special Effects und technischen Konstruktionen genügt, um Artefakt und Natur nicht mehr unterscheiden zu können. Im Bild hat Catherine Howard überlebt.

Bis 14. Mai, tgl. 11–20 Uhr, Deutsche Guggenheim Berlin, Unter den Linden 13–15; Katalog 59 DM