Fairer Tausch statt fetter Geschäfte

Das Programm „Napster“ macht jeden PC zum Server: Noch nie war es so leicht, an die neusten Hits der Musikindustrie heranzukommen. Die amerikanische Lobby der Verleger klagt vor Gericht, aber ihre Chancen stehen schlecht

Von dem kleinen Außerirdischen ist nur der runde, weiße Kopf zu sehen. Eigentlich sieht er ganz niedlich aus auf dem Windows-Desktop, wie ein Mond mit Katzenohren und einem großen Kopfhörer darauf. Aber so unschuldig ist der Kleine nicht, er hat es faustdick hinter den Ohren. Er ist das Logo der Softwarefirma Napster in San Mateo in Kalifornien. In mehreren hundert Universitäten in Amerika, Kanada und Mexiko hat sie die Leitungen blockiert und für Studentenproteste gesorgt. Zuletzt hat ihr der amerikanische Verband der Musikverleger (RIAA) eine Grundsatzklage wegen Verletzung des Urheberrechts an den Hals gehängt.

Dabei hatte alles so harmlos angefangen: Letzten Sommer programmierte der 19-jährige Collegestudent Shawn Fanning seine erste Software für Windows und nannte sie „Napster“, weil er genervt war, dass es im Internet kein anständiges Programm zum Suchen und Tauschen von MP3-Musik-Files gab. Als das Programm überall wunderbar ankam, schmiss er sein Informatikstudium hin und gründete mit seinem Freund Sean Parker die gleichnamige Firma in der Nähe von San Francisco, die heute 30 Mitarbeiter beschäftigt.

Napster ist ein relativ kleines Programm von weniger als einem Megabyte Speicherbedarf, das sich auf den Firmenseiten www.napster.com umsonst runterladen lässt. Hat es der User installiert und geht online, wird der eigene PC zum Server.

Das Funktionsprinzip gleicht dem alten Undergroundprogramm „Hotline“ für den Mac, mit dem „Warez“, illegal kopierte Programme, aus dem Netz geladen werden können – in der Regel aber nur im Austausch mit anderen, neu ins Netz gestellten Dateien. Napster regelt den fairen Tausch gleich vollautomatisch. Das Programm durchsucht die Festplatte des Gastrechners nach Dateien mit der Endung „.mp3“ ab und schickt die Liste an den Server in Kalifornien. Wer immer sich dort einwählt, hat das Recht, auf die in der ganzen Welt verstreuten Sammlungen der Napster-User zuzugreifen. Das Menü listet die verfügbaren Stilrichtungen und die User auf, die gerade online sind. Der zentrale Server kennt ihre jeweilige IP-Adresse, ein weiterer Mausklick genügt, um das ausgewählte private MP3-Archiv zu öffnen.

Das Herunterladen der Musiktitel selbst kann eine Weile dauern. Die PCs, die als Server dienen, sind nicht immer die schnellsten, und gelegentlich kommt es vor, dass der angewählte User seinen Rechner abschaltet, bevor der Transfer vollendet ist. Es müssen nicht unbedingt illegale Musikfiles sein, die getauscht werden. Jede Art von Daten lässt sich mit dem Programm übertragen. Die auf MP3-Format komprimierten Musiktitel aber haben Napster vor allem zum Renner unter amerikanischen Studenten gemacht. Durch deren Dauerdownload wurden die Uni-Leitungen teilweise auf die Hälfte ihrer Leitung ausgebremst. Im letzten Herbst haben etwa hundert Universitäten den Zugang zur Napster-Webseite und die Anwendung der Software verboten. Studenten der Indiana University gründeten eine Organisation gegen „Zensur an der Uni“ und stellten eine Petition für Napster ins Netz, die heute rund 9.000 Unterschriften trägt.

Irgendwann im Lauf des letzten Jahres wurde aber auch der Musikverlegerverband auf den blühenden Datentransfer aufmerksam. Normalerweise hebelt RIAA Webseiten mit illegalen MP3s sofort durch Klagen aus. Bei Napster aber sind manchmal bis zu 5.000 Anbieter gleichzeitig eingeloggt. Einzelklagen gegen sie alle würden auch den RIAA überfordern, deshalb verklagte der Verband ersatzweise die Herstellerfirma des Programms und verlangt von ihr für jede über ihre Software illegal geladene Musikdatei 100.000 Dollar.

Natürlich weist Napster jede Schuld von sich und behauptet, das Programm diene nur als Kommunikationsplattform. Eine Erklärung weist auf der Homepage außerdem darauf hin, dass Urheberrechtsverletzungen verboten sind. Verstöße können an den Zentralserver gemeldet werden, und Napster verspricht, die Missetäter aus der Adressengemeinschaft auszuschließen.

Von solchen Sanktionen ist allerdings bislang nichts bekannt. Sie sind auch kaum zu erwarten. Weil aber die möglicherweise illegalen Daten nicht auf den Servern von Napster liegen, wird es der RIAA vor dem Bezirksgericht in Kalifornien dennoch schwer haben, die Firma zu belangen. Der Ausgang des Verfahrens könnte vergleichbar sein mit dem Grundsatzurteil 1984 zugunsten des ersten Videorekorders von Sony. Oder auch mit der Gerichtsentscheidung für den ersten tragbaren MP3-Player „Rio“: Die Gerichte argumentierten jeweils damit, dass eine Technik nicht deshalb verboten werden dürfe, weil manche ihrer Anwendungen möglicherweise gesetzwidrig sein könnten.

Napster dagegen beruft sich zu seiner Verteidigung auf den Digital Millennium Copyright Act von 1998. In einem Interview mit dem Onlinemagazin www.salon.com versteht die Vorstandsvorsitzende Eileen Richardson das Programm als reine Anbieterplattform und vergleicht die Firma mit dem Internetriesen AOL, der ja auch nicht dafür verantwortlich gemacht werde, wenn Terroristen in dessen privaten Chaträumen ein Bombenattentat planten.

Allerdings spielen auch einige amerikanische Radiostationen MP3-Files. Mitte Februar wurde dort bekannt, dass die Polizei und das FBI versuchen, Napster-User aufzustöbern, weil sie angeblich eine illegale Piratensoftware benützen. Da war im Chatforum von Napster die Hysterie groß, in dem aufgeregte Anwender befürchteten, dass demnächst die Polizei bei ihnen vor der Tür steht. Ziemlich viel Aufregung für ein kleines Programm, das noch nicht einmal in seiner Vollversion existiert. Bislang gibt es nur eine Beta-Version für Windows. Unter dem Namen „Macster“ soll das Programm von einer anderen Firma für den Mac umgeschrieben werden, und auch eine Linux-Version ist schon angekündigt.

VERENA DAUERER

vdauerer@t-online.de