Wettbewerbsfähig, sonst nix

betr. „Die Bahn kommt – in die Miesen“, taz vom 2. 3. 00

[...] Die Trassenbenutzungsgebühren sind in Deutschland zum Teil deshalb relativ hoch, weil ein Großteil des Netzes (Infrastruktur, für die eigentlich der Staat zuständig sein sollte) hoffnungslos veraltet ist. Bahnstrecken sind nun einmal fast vollständig im letzten Jahrhundert gebaut worden. Da an diesem Zustand (aus vorgeblichem Geldmangel) jahrzehntelang nichts geändert worden ist, folgt daraus unter anderem ein sehr hoher Instandhaltungsaufwand, den DB Netz vollständig an die benutzenden Bahnen weitergibt. Hätten die Autobahnen in Deutschland auch nur einen annähernd so schlechten Baugrund wie viele Haupt- und Nebenstrecken der Bahn, wären so viele Baustellen die Folge, dass ein Schrei der Empörung nicht zu überhören wäre. [...]

Ein anderes Beispiel ist die Zugsicherungstechnik mit Signalen und Stellwerken. Selbst an Hauptstrecken oder größeren Bahnhöfen findet man immer noch Formsignale, die elektromechanisch gestellt werden (so bis 1999 im Bremer Hauptbahnhof). Damit wird zwar – wie mit moderner Sicherungstechnik auch – ein guter Sicherheitsstandard erreicht. Aber: Diese Technik mag vielleicht Eisenbahnnostalgiker begeistern, die gerne an die gute alte Zeit unter Wilhelm II. zurückdenken, nicht aber die Betriebswirte bei der Bahn. Denn: Der Unterhalt derart veralteter Technik ist einfach durch den extrem hohen Personalbedarf schweineteuer.

Diese vollständige Veraltung großer Teile des Fahrweges liegt an der jahrzehntelangen Vernachlässigung der Eisenbahn in Deutschland. Und für diese Vernachlässigung muss wer zahlen: natürlich die Bahn, die ja eh nicht mit Geld umgehen kann und schon wieder in die Miesen rutscht.

Und die Perspektiven? Schlecht! Auch diese Bundesregierung bemüht sich hauptsächlich darum, möglichst viele Straßen zu bauen und bei der Bahn zu sparen, was nur geht. Beim Güterverkehr Chancengleichheit bei den vom Staat gemachten Kosten ...? Gibt es nicht. [...]

Beim Personenverkehr wiederum setzen alle (besonders die Grünen, aber auch die angebliche Arbeitnehmerpartei SPD) auf mehr Wettbewerb. Dies bedeutet für die DB: entweder man senkt die Lohnkosten für Lokführer, Zugbegleitpersonal etc. auf das Niveau der Konkurrenz, oder man wird viele Ausschreibungen verlieren. Dass zum Beispiel Lokführer eh nicht die besten Arbeitszeiten haben (Wechselschichten etc.) und eh durch ihre Arbeit keine Reichtümer verdienen können – wen interessiert es. Man hat wettbewerbsfähig zu sein, sonst nix. JENS NIESTROJ, Rotenburg

Alles was Krise ausmacht, ist lediglich ein als Auseinanderklaffen zu bezeichnendes Gefälle zwischen Ist und Soll. Die Krise des Kapitalismus besteht darin, dass er gar nicht funktioniert, jetzt und überhaupt. Jeder wird sich immer daran stören, wenn Leben weh tut, und das tut es unter „kapitalistischen“ Bedingungen. Die Frage ist immer, wen es wann erwischt.

Ein Auf und Ab des Marktes soll es uns weisen. Bahnangestellte müssen gehen. Der oberste Bahnprivatisierer stellt sich auf der Pressekonferenz zur letzten Aufsichtsratssitzung hin und seiner Linie des Shareholder-Value-Denkens das Bedauern gegenüber, entlassen zu müssen, um das Ziel zu erreichen. Eine dreimal betriebswirtschaftlich durchgereinigte Bahnaktiengesellschaft, die, aufgesplittert in fünf Unternehmen, die Dividende schon strukturell herausfordern soll, ist die Utopie für den Dienst am Reisenden, für die Sicherung des Grundbedürfnisses pünktlich und bezahlbar von A nach B zu kommen. „Keine Ahnung, wie viel Arbeitsplätze das kosten soll.“

Die Menschen übernimmt ja auch die Solidargemeinschaft, als Arbeitslose. Geht unseren an Kapital denkenden Menschen auch nichts an! Nur, deutlich sei noch einmal gesagt: „Das wird auch bezahlt.“ Und der Clou, wenn der Bahnhof möglichst attraktiv sein soll, um die Kundenorientierung sichtbar zu machen und dann leider zu viel kostet, dann sollen die Länder halt zahlen. Kapitalist-Sein ist fein, wenn die anderen es mir finanzieren.

Was hat das mit Markt zu tun? Gelinde gesagt, ist das unverschämt. Keine Scham mehr, nur noch Stolz auf die eigenen Ideen, so einfach sie auch sind. Schwierig ist es für Mehdorn sicherlich, sein Gehalt auszugeben. Aber wir sind ja in der sozialen Marktwirtschaft, da lassen wir wenigstens ihm sein Einkommen, wenn’s auch weh tut. WOLF ADAM, München