Lehrer müssen gemeinsam nachsitzen wollen

Wie kann die Lehrerarbeitszeit effektiver werden, ohne dass das Kollegium mehr arbeiten muss? An der Heinrich-von-Stephan-Schule bleiben Lehrer zweimal die Woche bis 15 Uhr in der Schule, um gemeinsam den Unterricht vor- und nachzubereiten. Dadurch gibt es Synergieeffekte. Rektor möchte „Präsenzpflicht“ am liebsten auf alle Tage ausdehnen

Dienstags und mittwochs ist der Stundenplan an der Heinrich-von-Stephan-Oberschule voll gepackt. Knallvoll. Von morgens 8 Uhr bis um 15 Uhr ist das Kollegium fast permanent beschäftigt – erst im Unterricht mit den Schülern und dann auf Konferenzen: Arbeitstreffen, in denen der Unterrichtsstoff besprochen wird; Klassenkonferenzen, auf denen über jeden Schüler diskutiert wird.

Das klingt so, als müssten die Lehrer an dieser Schule noch mehr arbeiten als an anderen Schulen. Das in Berlin einzigartige Reglement soll dazu führen, dass die Arbeitszeit ingesamt gerechter und effektiver gestaltet wird. Stress und Mehrbelastung sollen abgebaut werden.

Rektor Jens Grosspietsch fordert, dass in Berlin endlich eine pädagogische Diskussion um die Arbeitzeit geführt werden müsse. Die Erhöhung der Pflichtstundenzahl um eine Stunde, die ab nächstem Schuljahr gilt, führe nicht zu weniger Unterrichtsausfall und mehr Effektivität, wie es Schulsenator Klaus Böger (SPD) suggeriere, sondern sei „rein fiskalisch begründet“.

Geht es nach Grosspietsch, müssen die Lehrer ihren Arbeitsablauf grundsätzlich neu überdenken. Denn: Der Beruf werde immer noch „sehr individualistisch“ aufgefasst. Jeder Lehrer werkele alleine vor sich hin. Und das sei höchst ineffektiv und führe zu Belastungen, die gar nicht sein müssten.

Die Heinrich-von-Stephan-Oberschule in der Tiergartener Stephanstraße ist eine integrierte Haupt- und Realschule. Hier lernen Jugendliche mit Realschul-und Hauptschulempfehlung gemeinsam. Wer als Hauptschüler in der 7. Klasse beginnt, kann am Ende der 10. Klasse den Realschulabschluss erreichen. 220 Jugendliche besuchen die Schule, die in einem sozial schwachen Kiez liegt.

Um die vom Rektor gewünschte Effektivität zu erreichen, gibt es an zwei Tagen in der Woche eine nachmittägliche Anwesenheitpflicht für die Lehrer. Offiziell auf freiwilliger Basis, denn die Vorschriften sehen nur eine Pflichtstundenzahl, aber keine Anwesenheitspflicht vor.

„Die Lehrerarbeitszeit muss anders organisiert werden“, sagt Grosspietsch, der seit 25 Jahren an der Schule ist. „Die Lehrer müssen lernen zu delegieren und miteinander zu kooperieren.“ Deswegen hat Grosspietsch die Konferenztage eingerichtet. So wird an jedem Dienstag über die einzelnen Stunden des Schulversuchs diskutiert – Haupt-und Realschüler werden gemeinsam unterrichtet.

Die Lehrer bereiten in dieser Zeit den Unterricht gemeinsam vor. Dabei entstehen Synergieffekte: Geht es beispielsweise in Geschichte um die USA, bereitet ein Lehrer eine Einheit über den Bürgerkrieg, ein anderer über die Staatsgründung vor. Die Unterlagen werden dann ausgetauscht. Am Mittwoch finden die Fächerkonferenzen statt.

Grosspietsch hält viel von den nachmittäglichen Sitzungen, doch die funktionierten nur, wenn das Kollegium mitmache. „Wenn die Lehrer, anstatt nachmittags zu Hause den Untericht vorbereiten, Kaffee trinken gehen“, ist er überzeugt, „dann werden sie es auch in der Schule während der Konferenzen tun.“

Grosspietsch hatte anfänglich Schwierigkeiten, sein Modell im Kollegium durchzusetzen. Die pädagogische Freiheit werde beschnitten, war eines der häufigsten Gegenargumente. Nur zu Hause könne man neue Kreativität finden, ein anderes. Mittlerweile ist fast das ganze Kollegium für einen festen Konferenztag. Zwei Tage, wie derzeit praktiziert, finden aber nur bei zwei Dritteln ungeteilte Zustimmung.

Lehrer Thomas Beck hält die zwei festen Tage für sinnvoll: „Früher waren die Absprachen mit den Kollegen schwieriger. Man musste den anderen immer hinterherrennen.“ Da Fachkonferenzen sowieso an jeder Schule Pflicht seien, sei es günstig, einen festen Tag dafür auszusuchen. Auch Axel Westerheide hat sich überzeugen lassen: „Diese Verpflichtung ist richtig. Es sieht scheinbar wie Mehrarbeit aus, führt aber zur Entspannung.“

Schwierigkeiten mit der Regelung hat dagegen Christiane Winkler. Sie hat zwei Kinder, „und da wird auch eine gewisse Präsenz zu Hause verlangt“. Die Lehrerin kritisiert, dass die Schulen für die nachmittäglichen Stunden nicht eingerichtet seien. „Wir treffen uns notgedrungen im Kunstsaal, einen extra Konferenzraum gibt es nicht.“ Auch seien die Gespräche nicht immer fruchtbar.

Ursula Lamperius hat eine Teilzeitstelle und ist deshalb auch nicht begeistert: „Manchmal habe ich dienstags nur zwei Unterrichtstunden, und dann muss ich bis zu Nachmittag auf die Konferenzen warten.“ Sie sei chronisch krank und brauche Ruhephasen.

Grosspietsch möchte die „Präsenzzeit“ am liebsten auf fünf Tage ausdehnen. Er kann die individuellen Bedenken durchaus verstehen, ist aber von seinem Modell überzeugt: „Der Absprachebedarf ist noch wesentlich größer.“ Doch Grosspietsch weiß, dass er das nicht durchsetzen kann: „Inbesondere nicht am Freitag. Da wollen alle ganz schnell ins Wochende.“

JULIA NAUMANN