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herr hefele kriegt 2 minutenALBERT HEFELE über eine Marginalie – den Linienrichter

EIN JÄMMERLICHES DASEIN

Waren Sie schon mal im Museum? Oder in einer Ausstellung bedeutender Werke der darstellenden Kunst? Sie wissen schon, da wo diese riesigen Schinken in den opulenten Goldrahmen hängen. Reizende Jungfrauen, die an Veilchen riechen, rauschebärtige Könige, die das Jesuskindlein anbeten, und Johannes der Täufer, der ein ums andere Mal enthauptet wird. Oder aber: ein zaundürrer Akt von Giacometti, sich die Seele aus dem Leib schreiende Francis-Bacon-Monster und fußballfeldgroße Werke von Anselm Kiefer. Solche Sachen. Können Sie sich erinnern? Auf den Bänken schnarchen vergessene Schulklassen, empört von Kunsterziehern in Cordsakkos zur Begeisterung ermahnt.

Ich frage nur, weil man uns Sportinteressierten hin und wieder unterstellt, wir seien nicht sonderlich weitläufig ausgestattet, was Bildung angeht. Also ich, das sage ich Ihnen gleich, ich bin nicht so. Ich war – vor Zeugen – schon mal in der einen oder anderen Ausstellung. Anlässlich solcher Veranstaltungen habe ich übrigens auch Kunstfreunde in der Fußballjacke gesehen. Die sich vielleicht nur die Zeit bis zum abendlichen Anpfiff vertrieben haben, immerhin ist man im Museum vor den Unbilden der Natur geschützt.

Na und? Besser als Bier saufen. Ich möchte aber von etwas anderem reden. In diesen Museen bin ich noch von etwas anderem fasziniert. Es sind diese Damen und Herren in – meistens – blauen Uniformen, die um die Bilder Wache schieben. Kleine, meistens kleine, ordentlich gekämmte Personen, die entweder ganz streng gucken oder immerzu gähnen. Kann man es ihnen verdenken? Möchten Sie den ganzen Tag neben einem Picasso sitzen?

Nach drei Stunden ist Schichtwechsel, dann dürfen Sie unter einem van Gogh sitzen... aber: das ist immer noch nicht das Thema. Das Thema sind die Randfiguren als solche. Die Figuren am Rande großartiger, bedeutender Ereignisse. Wie eben die Wächter der Künste, die Saalordner in der Oper oder: die Linienrichter. Puuh, das war knapp, aber ich habe die Kurve noch gekriegt. Linienrichter, also. Die längst nicht mehr so heißen; die Bezeichnung Linienrichter ist natürlich und ebenfalls der allgemeinen Wut, althergebrachte Titel neu zu formulieren, um deren Trägern zu größerer Bedeutung zu verhelfen, zum Opfer gefallen. Sie heißen nun Schiedsricher-Assistenten.

Ihr Job ist aber nach wie vor der gleiche. Es ist ein undankbarer, eigentlich sogar menschunwürdiger solcher. Während der Fußballspieler umeinanderhampeln kann, wie es ihm grade ist; während sogar der Kollege Schiedsrichter hemmungslos über das große und breite Fußballfeld schnüren darf, müssen die Assis sklavisch an der Linie kleben bleiben.

Im Prinzip das Schicksal eigentlich freiheitsliebender Tiere, die viel Auslauf brauchen und denen man nur gestattet, in einem zwar sehr langen, aber auch sehr schmalen Käfig auf und ab zu hetzen. Ein jämmerliches Dasein. Und da ist der Zwang zum albernen Fähnchen. Es wirkt erstens auf unangenehme Art petzig („Herr Lehrer, ich weiß was! Der da war’s!“) und ist zweitens im Wege. Es hemmt den eleganten Lauf, die natürliche Bewegung und nimmt damit dem Fähnchenträger jegliche Würde. Oder kann sich irgendjemand vorstellen, wie man mit Würde Abseits winkt? Darum werden die Assis prinzipiell wenig geachtet. Nicht, weil ihre Entscheidungen immer falsch sind. Aufgrund ihrer seltsamen und unnatürlichen Vorführungen an der Seitenlinie glaubt der Zuschauer, es mangele so einem grundsätzlich an Kompetenz und gesundem Menschenverstand, und ist sofort bereit, ihn höhnisch zu verunglimpfen. Mit besonderer Emphase, wenn er sein Fähnlein verliert und mit der Hand winken muss.

Fotohinweis:

Albert Hefele, 48, ist Ergotherapeut und referiert allwissend über die Dinge des Lebens, heute: Museen, Fußball.

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