Tödliche Konsequenz

Andrea Wolfs politischer Weg begann bei den deutschen Autonomen und endete bei der autoritär-patriarchalischen kurdischen Arbeiterpartei PKK

„Die Stimme von Genossin Ronahi war voller Angst. Sie hat geschrien. ... Ihre Stimme war wütend, wie von jemand, der starke Schmerzen hat. ... Dann fielen Schüsse.“ So beschreibt eine Kämpferin der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) die letzten Minuten von Andrea Wolf (33), am 22. Oktober 1998 in Türkisch-Kurdistan. Aufgezeichnet hat den Bericht die „Internationale Unabhängige Untersuchungskommission Andrea Wolf“.

Das heute in München vorgestellte Dokument soll belegen: Die deutsche PKK-Kämpferin wurde von türkischen Soldaten nach ihrer Festnahme gefoltert und exekutiert. Die Zeugin will die Szene in einem Erdloch ausharrend mitgehört haben. Zuvor war ihre PKK-Einheit, zu der auch Wolf gehörte, vom türkischen Militär fast vollständig vernichtet worden. Die türkischen Behörden behaupten, sie hätten „keine Hinweise auf den Verbleib von Frau Wolf“. Die prominente tükische Anwältin Eren Keskin ermittelt trotzdem. Sie will den Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen.

Andrea Wolfs Weg in die kurdischen Berge beginnt an einem katholischen Gymnasium in München. Dort sei sie Schulsprecherin geworden, habe sich aber „gleichzeitig unbeliebt bei den Nonnen gemacht“, erinnert sich ihre Mutter, denn: „Ihre Offenheit nannten sie unangepasst.“ Mit 15 beteiligt sich Andrea Wolf an einer Hausbesetzung und verbringt ihre erste Nacht im Gefängnis. Ein Jahr später landet sie für ein halbes Jahr in U-Haft. Der Grund sind ihre Aktivitäten in der Gruppe „Freizeit-81“, die sich die Verschmelzung von Kampf, Kunst, Punk und Politik auf die Fahnen geschreiben haben. Es folgt ein intensives Engagement beim Aufbau eines Infoladens, beim süddeutschen Autonomenplenum und in Frauengruppen. 1986 zieht Andrea Wolf nach Frankfurt, landet in verschiedenen WGs – und 1987 für drei Monate im Frauengefängnis Preungesheim. Ein Spitzel des Verfassungschutzes hatte behauptet, sie habe einen Anschlag auf das Amtsgericht Offenbach geplant. Für den Staatsschutz gehört Wolf zum RAF-Umfeld und war 1993 an dem Anschlag auf den Rohbau des Gefängnises im hessischen Weiterstadt beteiligt.

Die Autonome flieht in den Nahen Osten – ausgerechnet zu der autoritär und patriarchalisch geführten PKK. Zuvor hatte Wolf in einem Brief an Christian Klar die „ZuschauerInnenhaltung“ deutscher Linker kritisiert. „Mit dieser ‚Wir sind schlauer‘-Haltung muss man auch nie mal in die Scheiße greifen“, schreibt sie, „bzw. stürzt sich erst gar nicht in die Unwegsamkeiten des Lebens, bzw. des Kampfes.“ Andrea Wolfs Konsequenz endete tödlich.THOMAS DREGER