Der Rechtslehrer

von JUDITH WEBER

Das mit dem Wehrmachtsmantel war gelogen. Sicher, ein wenig militaristisch mutete der Mann an, wie er so auf die Schule losmarschierte, mit seinen wadenhohen Stiefeln und dem knielangen Mantel, den Blick wie immer forsch geradeaus gerichtet. Aber aus der Kleiderkammer von Hitlers Armee stammte Waldemar Stankos Jacke nicht. Dass sich das Gerücht trotzdem schneller ausbreitete, als der Lehrer den anstößigen Mantel aufknöpfen konnte, lag an der Angst und der Wut, die am Dortmunder Immanuel-Kant-Gymnasium herrschten: die Angst davor, dass Waldemar Stanko in den Klassen Werbung machen könnte für seine Partei, die „Republikaner“. Und die Wut darüber, dass ein Mann, der für die Rechtsextremen bei der Landtagswahl kandidiert, Politik- und Geschichtsunterricht gibt.

„Da war wirklich etwas los“, sagt Stanko und klingt fast geschmeichelt. LehrerInnen waren entsetzt und besorgt um den Ruf der Schule. Mütter und Väter drohten, ihre Kinder aus dem Unterricht zu nehmen, luden Stanko zu Diskussionen ein oder kamen als ZuhörerInnen in seine Stunden; die ElternvertreterInnen schrieben Briefe an den Schulleiter sowie an die zuständige Bezirksregierung im nordrhein-westfälischen Arnsberg. Die reagierte schnell. Sie eröffnete ein Disziplinarverfahren gegen Stanko und suspendierte ihn vorläufig vom Dienst.

Stanko: das Recht hat gewonnen

„Und zwar mit sofortiger Wirkung!“ Waldemar Stanko ist noch heute empört. Die rechte Hand fasst die Kaffeetasse fester; die linke ruckt an der Krawatte, deren Zipfel einfach nicht über dem Bauchnabel liegen bleiben will. „Mit Schimpf und Schande“ sei er davongejagt worden, sagt der 53-Jährige, „nicht mal meine Themenvorschläge fürs Abitur durfte ich einreichen.“ Stankos Augen sprühen Wut. Seiner Stimme würde er das nie erlauben. Die bleibt sanft. Enttäuschung liegt darin, Bedauern und Unverständnis, aber keine Wut. Die wäre das falsche Signal: Denn wer schimpft und tobt, ist nicht mehr nur Opfer.

Wenn Waldemar Stanko seine Geschichte erzählt, sind die Rollen klar verteilt – auch wenn er jetzt, nach sechs Jahren Kampf, endlich triumphiert hat: Er hat den Prozess gegen die Bezirksregierung gewonnen. Es war falsch, den Lehrer aus der Schule zu verbannen, entschied das Verwaltungsgericht Münster Mitte Januar. Die „Republikaner“, für die Stanko kandidiert hat, seien schließlich keine verbotene Partei. Gleiches gilt für die DVU, zu der der Lehrer mittlerweile übergetreten ist und für die er im Dortmunder Stadtrat sitzt. Und was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt, auch im Unterricht. Waldemar Stanko hat gewonnen, und mit ihm die Verfassung. „Das ist ein Sieg für die demokratische Grundordnung“, sagt er.

Dass Stanko nicht sofort an seine Schule zurückkehrt, liegt an den Lehrern und Eltern, die so böse zu ihm waren. „Der Druck und die Verfolgung wurden immer schlimmer“, klagt er und meint die KollegInnen, die ihm nach Jahren das Du entzogen und ihn plötzlich wieder siezten, sofern sie überhaupt mit ihm sprachen. Und die Fahrten zur Partnerschule „in Ostpreußen, in Königsberg“, an denen er nicht habe teilnehmen dürfen. Und den Deutschunterricht für AusländerInnen, den er nicht habe geben dürfen, „obwohl ich nie konkret was gegen die gesagt habe“. Die Liste der Ungerechtigkeiten ist lang, „obwohl ich mir nichts zu Schulden kommen lassen habe“. SchülerInnen, die nach dem Unterricht zu ihm kamen und den „Republikanern“ beitreten wollten, habe er abgeraten: „Der Druck, der auf sie zugekommen wäre, wäre bedauerlicherweise zu groß gewesen.“ Alles in allem, sagt Stanko, „war das eine Art von Mobbing“.

Und Mobbing macht bekanntlich krank. Waldemar Stanko bekam Rückenschmerzen, Angstzustände und Schweißausbrüche. 1997 bescheinigte ihm ein Amtsarzt, dass er nicht mehr arbeiten könne und versetzte ihn offiziell in den Ruhestand. Jetzt allerdings, nach dem Sieg, „könnte ich mir schon vorstellen, wieder zu unterrichten“, sagt er, „wenn das gesundheitlich wieder geht.“

Am Kant-Gymnasium löst diese Ankündigung gemischte Gefühle aus. „Das ist ein konfliktträchtiges Feld“, sagt Schulleiter Wolfgang Kunz und enthält sich mit Verweis auf das Dienstrecht jedes weiteren Kommentars. Klaus Sennholz, Vorsitzender der Schulpflegschaft und damit offizieller Elternvertreter, „würde das Urteil nicht kritisieren wollen. Wenn jemand im Unterricht nichts durchschimmern lässt, gibt es keinen Grund, ihn des Dienstes zu entheben.“

Das ist die eine Seite, die vernünftige. Der anderen, der gefühlsbetonten, räumt Sennholz nicht so gerne Platz ein. Dennoch ist er da, der Wunsch, „dass meine Kinder von jemandem unterrichtet werden, der keine ganz so ausgeprägte politische Meinung hat“. Viele Eltern würden Stankos Rückkehr nicht schweigend dulden, prognostiziert eine Mutter, die sich 1994 gegen den Lehrer engagierte und ihren Namen aus Angst vor Bedrohungen aus der rechten Szene nicht in der Zeitung lesen möchte: „Das würde sofort Proteste auslösen.“

Außerdem wäre Stankos Anwesenheit schlecht fürs Image: Das Kant-Gymnasium war 1995 schließlich die erste deutsche Schule, die sich am EU-Programm „Schule ohne Rassismus“ beteiligte. Gemeinsam mit anderen Schulen organisierten die Dortmunder das Musikfestival „Rap au Courage“, und bei einem Sponsorenlauf sammelte die Schülervertretung jüngst 32.000 Mark für Kinder in Malawi. Dass ein ehemaliger Kandidat der „Republikaner“ an so einer Schule unterrichtet, wäre nicht besonders begeisternd, findet Elternvertreter Sennholz.

Mit dieser Meinung steht er nicht alleine. Als Stanko überraschend bei der Auftaktveranstaltung von „Schule ohne Rassismus“ vorbeischaute, habe man ihn ausgesprochen kühl empfangen, berichtet er. „Das machen wir wegen dir“, habe ihm gar eine Kollegin entgegengeschleudert.

Stanko, der Rassist. Stanko, der Faschist. Stanko, der Rechtsradikale – so mag sich der Rechtslehrer nicht sehen. Haben denn alle vergessen, dass er mal in der FDP war? Dass er sogar gegen den Radikalen-Erlass auf die Straße ging? „Irgendwo bin ich doch liberal“, sagt der Dortmunder. Und setzt hinzu: „Im konservativen Sinne.“

Der schlecht sitzende, aber penibel saubere blaue Anzug, die akkurat gebundene Krawatte – Waldemar Stanko legt Wert auf Ordnung. Wenn er die Treppe im Dortmunder Rathaus hochgeht, ärgert er sich, dass zwischen dem zweiten und dritten Stock die Farbe der Bodenfliesen wechselt. „Ich verstehe das nicht“, sagt er dann jedes Mal, „man hätte das doch einheitlich machen können.“ Betrat er ein Klassenzimmer, mussten die SchülerInnen aufstehen. Und wie man einen Text liest und versteht, hat er für seine Klassen in einem „Textanalysekriterienkatalog“ festgehalten, Schritt für Schritt. Punkt eins: „Man nehme einen Stift in die Hand.“

Das Dritte Reich sparte sich Stanko

Die meisten SchülerInnen haben ihn gehasst für diese Pedanterie. Aber: „Stanko war einer der besten Lehrer, die ich je hatte“, sagt Jennifer Weber, Schülersprecherin des Gymnasiums. „Ich habe viel von ihm gelernt.“ Mit seiner politischen Meinung stimme sie nicht überein, „aber er sollte uns ja sein Wissen vermitteln und nicht seine Anschauung. Das hat er getan.“ Stets habe der Lehrer seine SchülerInnen aufgefordert, ihre Meinung zu sagen; für die „Republikaner“ habe er nie explizit geworben.

Lediglich das „Dritte Reich“ habe Stanko im Geschichsunterricht nicht behandelt, obwohl es laut Plan vorgesehen gewesen sei. „Dafür haben wir uns ausführlich mit der französischen Revolution beschäftigt und mit allem, was damit zusammenhing.“ Und manchmal, berichten andere SchülerInnen und Eltern, seien Stanko doch die Worte entgleist – wenn auch sehr subtil. „Wenn man jetzt sexistisch wäre, könnte man folgendes sagen ...“, habe der Lehrer ab und an seine Sätze begonnen, erzählt eine Mutter.

Jennifer Weber findet, um den Fall Stanko wurde mehr Panik geschürt, als angebracht gewesen wäre. „Jedes Wort, jede Geste von ihm wurde auf die Goldwaage gelegt.“ Und schon war es vorbei mit der Vernunft am Kant-Gymnasium.

Wie groß der Einfluss von LehrerInnen auf ihre SchülerInnen tatsächlich ist, darüber gehen die Meinungen an der Schule auseinander. „Das wird gnadenlos überschätzt. Man fragt ja auch nicht, ob ein Lokführer bei den ‚Republikanern‘ oder in der DKP ist“, sagt Waldemar Stanko. Nein, fragt man nicht.