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Selbst fabrizierter Super-GAU

Inspektor Gadget bei der Arbeit: Von der Schwierigkeit, ein uraltes Phänomen mit den Mitteln der Kunst zu beschreiben. Die Ausstellung „Katastrophen und Desaster“ im Folkwang Museum Essen

von MAGDALENA KRÖNER

Hieronymus Bosch hatte die Katastrophen noch gut im Griff. Da gab es das Fegefeuer, Fluten und Pestilenzen, alles in bunten, beeindruckenden Bildern, auf dass die Menschen sich gruselten und um Vergebung beteten. Heute existiert die Vorstellung von einer Katastrophe als „plötzlichem, direktem, lebensbedrohlichem Einbruch in die physische Welt des Menschen“, wie es der Katastrophenschutz des Deutschen Roten Kreuzes definiert, zumindest in den Industrienationen nur noch selten. Selbst der globale Computercrash zum Millenniumswechsel blieb aus. Können wir das Thema also nicht einfach vergessen? Ein deutliches Nein ist derzeit von sieben Künstlern zu vernehmen, die in Essen ausstellen.

Je heller das gleißende Licht des neuen Jahrtausends von affirmativen und euphorischen Kulturveranstaltungen wie etwa der „Zeitenwende“-Schau in Bonn strahlt, desto schärfer fallen die Schatten in „Katastrophen und Desaster – Das Jahrhundert am Ende“. Aber wo ist die Katastrophe in einer rationalen und technisierten Welt überhaupt noch zu suchen? Und welchen Ort kann sie in der Kunst finden, die ihre prophetische Kraft so offensichtlich an die elektronischen Massenmedien abgegeben hat?

Tatsächlich hat sich der Ort der Bedrohung vom äußeren Raum, vom Naturereignis, in den Raum des Gesellschaftlichen verlagert. An die Stelle der Pest tritt längst der selbst fabrizierte Super-Gau: Weltuntergang homemade. Die Katastrophe tritt gegenwärtig weniger als äußerer Aggressor denn als Virus auf, der sich im Kern gesellschaftlicher Strukturen niederlässt und diese von innen heraus zersetzt. In diesem Zusammenhang ist die Arbeit Dui Seids zu lesen, dessen babylonisch getürmter Haufen Sondermüll ebenso eindrucksvoll wie problematisch ist. „Artist’s Estate“ betitelt er eine Folge ortsbezogener Installationen, deren vierte und größte Version in Essen entstanden ist. Kleidung, sehr persönliche Erinnerungsstücke, blutige Verbandsreste, Blisterpackungen, gebrauchte Spritzen und Schwulenmagazine heben das Thema Aids in den Bereich persönlicher Betroffenheit, doch verkürzen sie die Problematik, wie zu Beginn der Aids-Debatte, just wieder auf die Randgruppe, die längst nicht mehr den Hauptteil der HIV-Infizierten ausmacht.

Die volle Fahrt voraus in die Materialschlacht endet auch für Gregory Green im Klischee: Er zeigt Sprengsätze, Kofferbomben, sogar ein Cruise Missile in Originalgröße – alles gebaut mit Hilfe von Anleitungen aus dem World Wide Web und potenziell einsatzfähig; selbst der Bombenbauertisch fehlt hier nicht. Doch statt einer Kugel Plutonium steckt ein Baseball in der Atombombe. Angesichts des jüngsten Hackerangriffs, der durch simplen Informations-Overflow weite Teile des viel umjubelten elektronischen Handels von Anbietern wie Yahoo oder AOL lahm legte, sind Gregory Greens mit dem Effekt spekulierende Werke nichts weiter als Basteleien für kleine Jungs: Inspektor Gadget bei der Arbeit.

Es zeigt sich: Auch die Katastrophe ist der Beschleunigung unterworfen. Im 21. Jahrhundert wird auch sie vom Sinnentzug schneller eingeholt, als ihr lieb sein kann: Eben noch Realität, verkommt sie im nächsten Moment zum Effekt, zur Simulation. Hier setzt die Kritik des Schweizers Christoph Draeger an. In drei Arbeiten analysiert er die Katastrophe als zeitlich gebundenen Effekt, wobei er den Betrachter durch geschickte Techniken der Verlangsamung oder Beschleunigung zu verwirren und zu reinvolvieren weiß. So zeigt er Schauplätze längst vergangener Unglücke, die nur noch in der Kategorie der Erinnerung Bedeutung erlangen: das Brüsseler Heysel-Stadion oder die Silhouette von San Francisco. In „TWA 800“ wird das Bild eines Flugzeugwracks zum Puzzle: Rekonstruktion unmöglich. Im Gegensatz dazu steht die Videoinstallation „911: Emergency Room“: Bilder von vorbeirasender Feuerwehr, Polizeiwagen und Ambulanzen, die Draeger spontan im New Yorker Verkehr aufgenommen hat, werden gleichzeitig auf vier Wände projiziert, ohrenbetäubender Sirenenlärm klingt dazu aus allen Richtungen. Der Körper, versetzt durch die unmittelbar auf ihn einprasselnde Illusion, wähnt sich mittendrin und mobilisiert Adrenalin: Flüchten oder angreifen?

Einen ähnlich beklemmenden Zugang zu einer ganz anderen sozialen Erscheinungsweise des Todes als ultimative Katastrophe ermöglichen die nüchternen Fotodokumente Lucinda Devlins aus den Hinrichtungszellen amerikanischer Gefängnisse. Die stillen, statischen Bilder offenbaren das abstrakte Gesicht des modernen Todes, der seinen Schrecken in einer durchrationalisierten Struktur verbirgt. Die Katastrophe, wie von Draeger und Devlin so eindringlich gezeigt, nimmt subtilere Formen an, und wir müssen sehr aufpassen, um sie noch zu begreifen. Die Mechanismen zu ihrer Sublimierung werden immer perfekter; auch wenn medial verbreitete Schockeffekte – hier wieder mal repräsentiert durch Jake & Dinos Chapman – darüber hinwegtäuschen.

Hinschauen oder nicht: Bei den Chapman-Brüdern weiß man es wieder mal nicht so genau. Zwar wurde die Plastik „The Un-nameable“, die den üblichen Kleine-Mädchen-Genital-Hybriden zeigt, von Kurator Finckh als Allegorie auf „Genmanipulation, Kindesmissbrauch etc.“ gedeutet – doch allmählich ist man dieser L’Art pour l’art schlicht überdrüssig. Den ironischen Abschluss bildet John Isaacs: Wer dem lebensgroßen Vogel Strauß, der den Kopf im Sand vergraben hat, in die einzig sichtbare Körperöffnung schaut, kann darin eine kleine Weltkugel entdecken: Und sie dreht sich doch!

„Katastrophen und Desaster – Das Jahrhundert am Ende“, bis 9. 4., Folkwang Museum Essen, Katalog 28 Mark

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