Knetmultiplikator werden!

Jubiläum! In Stuttgart findet das Zehnte Internationale Trickfilmfestival statt. Eine gute Gelegenheit, das breite Spektrum des Trickfilms auf höchstem Niveau kennen zu lernen

Dass ein aus Knete geformter Käseliebhaber und sein ebenfalls wachsweicher Hund es in einem Animationsfilm mindestens mit einem verkleideten Pinguin aufnehmen müssen, ist heutzutage auch dem durchschnittlichen Kinogänger bekannt. „Wallace und Gromit“, die Figuren des englischen Trickfilmregisseurs Nick Park, sind fast so berühmt wie Harald und Maude. Für Missionsarbeiter in Sachen Animation ist das eine große Erleichterung: Sie müssen nicht mehr so oft wie früher die Welt jenseits des Zeichentricks erklären. Vor allem aber ernten sie inzwischen viel seltener mitleidige Blicke, wenn sie im Gespräch den Begriff Puppentrick verwenden.

Dass Puppen aus Knete aber auch etwas ganz anderes widerfahren kann als „Wallace und Gromit“, zeigte sich jetzt wieder in Stuttgart. Im ersten Wettbewerbsprogramm des Internationalen Trickfilmfestivals, das am Donnerstagabend eröffnet wurde, lief der Knettrickfilm „Cousin“. In knapp fünf Minuten (4:40) fasst der australische Regisseur Adam Benjamin Elliot hier Kindheitserinnerungen an seinen behinderten Cousin zusammen – ein kleiner Junge mit dicker Knetbrille und vorstehenden Knetzähnen –, der täglich Medikamente einnehmen musste: „Er bekam zwei rote und eine blaue Tablette“, berichtet eine Erzählerstimme, während unangenehm überdimensionierte Kapseln auf einem Handteller zu sehen sind.

Dann bringt Elliot seinen Verwandten ins Bild, der einen kleinen Umhang trägt: „Cousin glaubte, dass die Pillen ihm Superkräfte verliehen.“ So komisch hat schon lange niemand mehr eine Familiengeschichte erzählt, und auch nicht so traurig: Eine Szene zeigt, wie „Cousins“ Mutter ihm den linken Ärmel mit einer Sicherheitsnadel am Pullover feststeckt, um den unkontrollierbar zuckenden Arm darin zu fixieren. Und auch nicht so freundlich: Beim „Scrabble“-Spiel legt Cousin stolz das Wort „Spasti“.

Die anderen Filme im ersten Wettbewerbsprogramm enttäuschten ein wenig. Andrej Uschakow zum Beispiel, dessen letzter Film „About Love and Fly“ hübsch rund geraten war, hätte seine gezeichneten Wollsocken besser ein paar Minuten weniger Abenteuer in der Großstadt erleben lassen und sich auch entscheiden sollen, ob Socken grundsätzlich niedlich giggeln oder höhnisch lachen. Und in dem Film „Pleasures of War“ brachte Ruth Lingford mit ihren Ausführungen über Krieg und Gewalt exakt das auf die Leinwand, was im Festivalkatalog über ihren Film zu lesen ist und niemand mehr sehen will: „Eine uralte Geschichte“.

Dauergäste des Festivals setzen allerdings auf die publikumsträchtigen Aufführungen am Wochenende, und mit Sicherheit bieten auch die zahlreichen zusätzlichen Veranstaltungen noch angenehme Überraschungen. So gehören zum Festival nicht nur ein nach Herstellungsländern sortiertes Panorama, eine Kinderfilmreihe und mit der „Young Animation“-Serie Filme von Studenten: Zu ihrem zehnjährigen Jubiläum gönnten sich die Festivalbetreiber eine Erweiterung und prämieren erstmals auch Langfilme.

Im Zusammenhang mit dem Geburtstag sei dringend darauf hingewiesen, dass potenzielle Animationsfilmfreunde ihre Wochenendplanung über den Haufen werfen sollten: Das Jubiläums-Special Best of Animation versammelt in diesem Jahr eine schöne Auswahl der Preisträger-Filme aus den letzten fünf Festivals. Unter ihnen findet sich ein bulgarischer Can-Film von Zlatin Radev, der eine Konservendosenrevolte und ihre Folgen zeigt, sowie die deutsche Produktion „Wir lebten im Gras“ von Andreas Hykade, dessen jüngstes Werk „Ring of Fire“ im diesjährigen Wettbewerb läuft, aber auch „Vision“, der ansprechende Experimentalfilm des Schweizers Killian Deller.

Gerade dieses Programm präsentiert die unterschiedlichen Arbeitsweisen, mit denen ein Trickfilm hergestellt werden kann: vom Zeichen- und Legetrick über den Einsatz von Puppen bis hin zur Computeranimation. Eine gute Gelegenheit also, das Spektrum des Trickfilms auf höchstem Niveau kennen zu lernen, anschließend Multiplikator zu werden und den Animationsmissionsarbeitern das Leben zu verschönern.

Wer in Hamburg um 14.24 Uhr, in Berlin um 14.44 Uhr, in Köln um 16.54 Uhr und in München um 17.42 Uhr in den Intercity springt, erreicht Stuttgart rechtzeitig, um sich den heutigen Wettbewerb anzusehen. Ein ganz wichtiger Tipp noch: Käsebrötchen mitbringen! Der Gastronomie vor Ort ist nicht in jedem Fall zu trauen. CAROLA RÖNNEBURG

Informationen sind zu erhalten beim Festivalbüro. Telefon: 0711/92 54 60