„Ausdifferenzierung ist zu beobachten“

■ Ulrich Brüggemann schreibt eine Diplomarbeit zum Thema Rechtsextremismus im Netz / Darüber geredet wird viel – geforscht wenig / Interview mit dem 35-jährigem Ex-Streetworker

taz : Sie schreiben gerade an einer Diplomarbeit zum Thema „Rechte im Internet“. Ihre Grundthese: „Alles nicht so schlimm“?

Ulrich Brüggemann: Nein. Der Bereich Rechte im Internet darf auf keinen Fall verharmlost werden. Zu sagen, dass rechte Inhalte im Internet nicht schlimm seien, wäre eine fatale Aussage. Aber es ist schon so, dass oft vorschnell etwas aufgebauscht wird, was sich später als nicht zutreffend erweist. Bislang setzt man sich nicht mit den rechten Inhalten im Netz auseinander, sondern nur mit der Darstellungsweise.

Neumobilisierung von Rechten findet im Internet nicht statt?

Doch. Ein verbesserter Zugriff auf rechte Ideologie ist möglich. Auch Sympatisanten vom Rand kommen an Informationen, an die sie früher nicht herangekommen wären. Früher gab es Info-Telefone oder BTX. Inzwischen ist der Informationsfluss keine Einbahnstraße mehr; Informationsgeber und Empfänger können miteinander kommunizieren. Insgesamt findet aber eher eine Dämonisierung als eine Auseinandersetzung mit rechten Ideologien im Netz statt.

Wer Dämonisiert das denn: Sozialarbeiter, Politiker, Journalisten? Bauen die Rechten gekonnt einen Mythos auf?

Als Focus und Spiegel als erste vor einigen Jahren über Rechte im deutschsprachigen Internet geschrieben haben, war das die beste denkbare Werbung für die rechten Seiten im Internet. Wenn Web-Adressen einfach so publik gemacht werden, dann ist das sehr unvorsichtig, vor allem, wenn es mit Halbwissen gepaart wird.

Sind denn solche Seiten nicht ganz einfach über Suchmaschinen zu finden?

Schwierig. Natürlich kann man nach „NPD“ oder „Republikanern“ suchen – aber das sind dann Parteiseiten. Das befriedigt aber das Interesse, vor allem von Jugendlichen, nicht. Die suchen eher nach Musik, die sie sich runterladen können oder Fanzines und Devotionalien aus der rechten Off-Kultur. Um da ranzukommen, muss man schon sehr viel genauer suchen.

Wann wird der Umgang mit den rechten Seiten denn gefährlich?

Wenn sie als Bildungs- oder Zitatequelle, als Informations- oder Mobilisierungsmöglichkeit für Musikveranstaltungen oder Aufmärsche genutzt werden. Im Vorfeld der 1. Mai Demo in Bremen 1999 lief zum Beispiel sehr viel über Internet. Das Neue ist: Man braucht keine Listen mehr mit zu bedienenden Sympatisanten, sondern die Informationen sind weltweit abrufbar.

Welche rechten Gruppen nutzen denn das Internet zu welchen Zwecken?

Insgesamt würde ich sagen, dass zwei Drittel der Inhalte als verfassungsfeindlich, demokratiefeindlich, rassistisch oder antisemitisch zu werten sind. Es gibt drei wesentliche Bereiche: Zum einen wird der Nachwuchs der rechtsradikalen Parteien, wie zum Beispiel die NPD-Jugendorganisation JN, bedient. Zum anderen gibt es einen rechten Bildungsbereich, wie der Nationaldemokratische Hochschulbund, der die rechte Strategiedisskussion, wofür das Internet nutzbar ist, am stärksten geprägt hat und Vordenker zum Beispiel für das „Thule Netz“ oder die Seiten der Revisionisten war. Und dann ist da noch der Szene-Bereich: Musikszene, Fanszene, Skinheadszene. Vor allem für diese Szene ist das Internet eine Bereicherung: Früher musste man einen Plattenverkäufer kennen, der indizierte Musik unter dem Ladentisch verkauft. Heute kann man die sich einfach runterladen. Und Termine für rechte Konzerte können auch leichter angegeben werden.

Wie klar ist das abgegrenzt?

Die JN sagt recht deutlich, welche Jugendlichen sie haben wollen: Die prolligen Skinheads, die saufen und gröhlen will man zwar auf den Aufmärschen sehen, aber nicht in der Partei. Zu Internet-Gründerzeiten haben die militanten und organisierten Rechten die Möglichkeiten des Internets viel euphorischer eingeschätzt. Mitte der 90er Jahre sollten verschiedenste Gruppierungen sich über das Internet verbünden, in eine Diskussion eingebunden werden, die zu einer einheitlichen Bewegung führt. Die verschiedensten Jugendszenen sollten zum Beispiel in Parteistrukturen eingebunden werden. Die JN sieht diese Chance wohl immer noch. Aber insgesamt ist eine Ausdifferenzierung zu beobachten.

Wie groß ist denn die rechte Szene eigentlich im Internet?

Ich habe ein Archiv von über 400 Seiten; da sind vor allem deutschsprachige, europäische oder amerikanische Seiten dabei. Inzwischen ist es Gang und Gäbe, dass die Seiten aus dem Ausland zweisprachig – deutsch und englisch – angeboten werden. Zum Beispiel die Seiten des Deutsch-kanadiers Ernst Zündel. Es bedarf dennoch einer gewissen Fremdsprachen-Bildung, um sich im rechten Netz zu bewegen. Das ist ein Kriterium, dass die Nutzergruppen wieder einschränkt. Auch eine gewisse technische Vorbildung war lange ein Zugangs-Hindernis. Inzwischen wird der Zugang zum Internet immer einfacher, das heißt, das Benutzer-Spektrum erweitert sich auch. Zudem gibt es inzwischen jede Menge Internet-Cafes. Das kostet zwar Geld, aber auch das Internet wird billiger.

Die rechte Szene kann sich schnell bewegen. Auch im Internet?

Seiten, die es vor einem halben Jahr gegeben hat, sind heute oft nicht mehr auffindbar. Oft schieben die Provider einen Riegel vor, sobald von außen Druck auf die Anbieter ausgeübt wird und ein Image-Schaden oder Rechtsbrüche befürchtet werden. Aber die Szene ist natürlich schneller geworden: Wenn eine Veröffentlichung geplant ist, können Rechte die Inhalte innerhalb von Minuten durch Rechtsanwälte, zum Beispiel bei der NPD, prüfen lassen, um gegebenenfalls Formulierungen so zu ändern, dass sie rechtlich nicht verfänglich sind. Das dauerte früher ewig. Wenn es wirklich Probleme geben könnte, werden die Seiten eben über einen Provider im Ausland angeboten, wo laxere Rechtsvorschriften gelten.

Wieviel Aktivität findet denn in geschützten Bereichen statt, die man als normaler Surfer gar nicht zu sehen bekommt?

Es gibt eine klare Hierarchie: Einerseits gibt es die ungeschützen www-Seiten, auf denen man schon eine Menge finden kann. In die Mailboxsysteme kann man sich oft als Gast einloggen – dann bewegt man sich immer noch an der Oberfläche, wo man aber schon Diskussionsforen verfolgen kann oder Telefonnummern für Info-Telefone weitergegeben werden. Wenn man weiter vordringen will, muss man Adresse und Telefonnummer weitergeben. Dann findet richtiggehend ein Personencheck statt. In die internen Diskussionszirkel dringt man aber eigentlich nicht vor, ohne auch eine Referenz oder einen Bürgen zu haben.

Ist die rechte Szene transparenter für Beobachter von außen geworden?

Für politisch Interresierte oder den normalen Surfer wohl schon. Für den Staat – Verfassungsschutz oder Staatsschutz – hat sich wahrscheinlich nicht so viel geändert, weil die ohnehin ihre V-Männer in der Szene sitzen haben.

Fragen: Christoph Dowe

Literatur: Stiftung des Dokumantationsarchivs des Österreichischen Widerstandes: Das Netz des Hasses. Wien 1997.