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Ankunft im Regierungsviertel

Bei den Grünen ist ein ganz neuer Trend zu beobachten: Die Basis hat Gefallen am Regieren gefunden und übt sich in Karlsruhe in Pragmatismus

aus Karlsruhe PATRIK SCHWARZ

Sogar die Kameras respektieren seinen Kummer. Allein, ganz allein steht Fritz Kuhn zu Füßen der riesigen Parteitagsbühne. Er hält sein Mobiltelefon ans Ohr, als müsse er sich daran festhalten. Im Augenblick nach der Niederlage sucht Kuhn Trost bei einem Menschen, der ihm näher ist als jeder der 750 Delegierten hier im Saal, die seine Hoffnungen auf den grünen Parteivorsitz fürs erste ruiniert haben. Seine Frau? Ein Imageberater?

Wer auch immer am anderen Ende ist – das Bild weckt den Eindruck, dass der 44-Jährige nach einer Zuflucht sucht: Mit seiner Hand hat er eine Höhle vor dem Gesicht geformt, in die sich sein Mund und sein Handy fast völlig zu verkriechen scheinen.

Kuhn und Künast bleiben vorerst, was sie sind

Mögicherweise ist das aber auch schon zuviel der Psychologie und der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg will nur den Lärm aus der Halle abschirmen. Dafür spricht zum einen, dass Fritz Kuhns Handy wirklich sehr klein und störanfällig wirkt und zum anderen, dass sich der Parteitag gerade mit einigem Tumult in die Nacht verabschiedet.

Es ist Samstag, eine halbe Stunde vor Mitternacht. Die Delegierten haben vor einigen Minuten endgültig den Antrag abgelehnt, der im Jargon der Partei Strukturreform heißt oder umständlicher: „Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat“ – der aber im Effekt etwas ganz Einfaches bedeutet: Wäre der Antrag siegreich gewesen, hätten Fritz Kuhn und seine Kollegin Renate Künast aus Berlin sich um den gemeinsamen Parteivorsitz bewerben können – ohne gezwungen zu sein, dafür ihre Chefposten in den Landtagsfraktionen aufzugeben.

Vor allem Außenminister Joschka Fischer wollte das. Aber auch der linke Umweltminister Jürgen Trittin, die Noch-Parteichefin und Reala Gunda Röstel und überhaupt viele mit Rang und Namen in der Partei waren der Idee zugeneigt. Quer gestellt hat sich eine, die bei den Grünen seit jeher als unbekannte Größe gilt und als widerspenstig verschrieen wird: die Basis.

Parteitag wurde doch nicht zum Sargnagel der Grünen

Sie versagte den Oberen jene Zweidrittelmehrheit, die für eine Satzungsänderung vorgeschrieben ist. Doch wie solche spektakulären Abstimmungendrohen sie den Blick auf die eigentlichen Neuigkeiten zu verstellen. Das zeigen die Gesichter der Verlierer. Selbst führende Verfechter der Strukturreform wie der Fraktionchef im Bundestag Rezzo Schlauch wirkten erstaunlich munter. „Der Parteitag ist weniger schwierig als öffentlich der Eindruck entstand“, sagt auch Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, „da wurde so getan, als würde heute bei den Grünen der Sargdeckel zugeklappt“.

Jene Grüne, die sich gerne Realisten nennen, fühlen sich als Gewinner des Parteitags: Bis auf die Entscheidung zur Strukturreform siegte in den zentralen Debatten Pragmatismus über Rigorismus.

Beim Atomausstieg wurde auf ein Ultimatum an die Industrie verzichtet. Wegen der Kreditbürgschaften für ausländische AKWs erhielt Joschka Fischer nur eine Rüge, keine „Watsche“, wie ein Delegierter es ausdrückte. Für den Fall des Panzerexports in die Türkei soll den Sozialdemokraten nicht sofort mit dem Koalitionsbruch gedroht werden. Und bei der Stärkung der bislang unterfinanzierten Parteispitze wurde ein Kompromiss erreicht.

„Ich würde sagen: angekommen im Regierungsviertel“, zieht Schlauch Bilanz. Nun ließen sich solche Einschätzungen als Zweckoptimismus abtun oder als Triumphalismus, wären da nicht auch Stimmen wie die von Irmingard Schewe-Gerigk. Als ausgewiesen linke Bundestagsabgeordnete ist sie denkbar unverdächtig, den Pragmatikern Lorbeerkränze zu winden. „Dass die Delegierten zufrieden sind, kann man sich ja nicht wirklich vorstellen“, sagt sie, „aber die denken eben inzwischen strategisch.“ Die Basis wolle den Ministern den Rücken stärken. Die oberste deutsche Grüne im Europaparlament, Heide Rühle, teilt den Eindruck: „Es gibt nicht die Befindlichkeitsdebatten, die ich im Vorfeld befürchtet hatte.“

Die Basis wollte Parteispitze den Rücken stärken

Natürlich gab es auch in Karlsruhe Debattenredner, die dem Parteitag mit heiligem Ernst „alte Indianerweisheiten“ als Messlatte für politische Beschlüsse vorhielten. Die Mehrheit zeigte wenig Sinn für linksalternativen Kalendersprüchen der Siebzigerjahre.

Es ist deutlich geworden, dass die Partei sich mit einer Lehre abgefunden hat, die Spitzengrüne schon lange predigten: „Man darf keine Allmachtsphantasien kriegen, nur weil man an der Regierung ist“, beschreibt Volmer die Lektion. Heide Rühle spricht vom Paradox des Regierens: „Man kann in der Regierung manche Dinge schlechter durchsetzen als in der Opposition, weil man das ganze Land überzeugen muss, nicht nur die eigenen Leute. Diese Erfahrung macht die Partei gerade.“

Trotz des Scheiterns der Strukturreform hat sich damit die Rolle Joschka Fischers in der Partei endgültig geklärt. Er ist nicht länger der Chefpragmatiker, der droht, treibt und lockt. Künftig ist jeder Delegierte sein eigener Joschka Fischer.

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