: Sexuelle Folter in der Türkei
Türkische Frauenrechtlerinnen starten EU-Kampagne. Appell an rot-grüne Regierung
BERLIN taz ■ Als Asiye Güzel Zebek am 22. Februar 1997 vom Einkaufen zurückkehrte, wurde sie in ihrer Istanbuler Wohnung von einem Team türkischer Polizisten begrüßt. Man nahm die Chefredakteurin einer sozialistischen Zeitung in die Räume der Anti-Terror-Abteilung mit. Dort wurde sie, so ihre Aussage vor Gericht, „an den Füßen sowie an den Armen aufgehängt und ständig belästigt. Danach hat der Teamleiter mich zusammen mit den anderen vergewaltigt.“
Zebek war die erste türkische Frau, die mit ihrer Vergewaltigung im Polizeiverhör an die Öffentlichkeit ging – und die erste, die inzwischen über ein Gutachten der Universität Istanbul verfügt, das ihr eine Traumatisierung auf Grund des Erlebten attestiert. Ihr Fall hatte Signalwirkung: In Istanbul gründete der „Bund der werktätigen Frauen“ (EKB) ein Büro, das sich des Themas annahm; in diversen Städten wurden Frauengruppen gegründet. Seither haben sich 95 Frauen gemeldet, die von Vergewaltigung und sexueller Folter durch Polizei und Militär auf dem Polizeirevier, aber auch auf offener Straße vor den Augen ihrer Familie berichten.
Die Kampagne, mit der der EKB seit Mitte 1997 die türkische Öffentlichkeit aufzurütteln versucht, wird jetzt auch nach Westeuropa getragen. Seit einer Woche reist die Frauenrechtlerin Ayse Yilmaz durch Deutschland, besuchte Nürnberg, Stuttgart, Dortmund, Duisburg, Köln. Am Sonntag sprach sie vor 40 überwiegend türkischen und kurdischen ZuhörerInnen in Berlin.
Der Besuch in Deutschland richtet sich allerdings nicht nur an die hier lebenden Türken, sondern auch an die rot-grüne Regierung, die mit einer Annahme der Türkei als EU-Beitrittskandidatin und mit der anstehenden Lieferung von Testpanzern suggeriert, dort sei ein Demokratisierungsprozess erkennbar. „Von einer Demokratisierung kann keine Rede sein“, so Yilmaz. „Gerade die Frauen sind es, die massiv benutzt werden, um den Widerstandsgeist von Kurden und politisch Aktiven zu brechen.“
Die Ärztin Mechthild Wenk-Ansohn vom Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer bestätigte Yilmaz’ Berichte. Nach wie vor sei die Hälfte aller Patienten im Behandlungszentrum Kurden, von diesen seien etwa 30 Prozent Frauen. „Vor allem bei Frauen ist Vergewaltigung und Missbrauch oft ein wesentlicher Teil der Folter“, so Wenk-Ansohn. Die Ärztin verwies auch auf die dramatischen Folgen nicht nur für die psychische, sondern auch für die soziale Situation der Frauen: „In der kurdischen Gesellschaft ist das Konzept der Ehre sehr stark an die Frauen gebunden. Wird deren Ehre verletzt, trifft es die ganze Familie – oft bis hin zum Ausgestoßensein oder dem Selbstmord der Frau.“ Dementsprechend häufig würden Frauen oft Jahre nicht über das Erlebte reden. Wenn sie es schließlich doch täten, drohe häufig eine „Retraumatisierung“. Wenk-Ansohn: „Das Öffentlichmachen von sexueller Folter ist ein zweischneidiges Schwert.“
Und es ist offenbar ein politisch wenig aufrüttelndes Unterfangen. Wie schon aus diversen Kampagnen für eine Anerkennung frauenspezifischer Verfolgungsgründe im Asylverfahren bekannt, stößt auch die Kampagne der türkischen Frauen bisher auf wenig öffentliches Interesse. Koorganisatoren von Yilmaz’ Auftritten in Deutschland sind die türkische Immigrantenorganisation AGIF sowie Teile der IG Metall. Grüne und PDS seien zwar grundsätzlich interessiert gewesen, aber nach eigener Aussage zurzeit mit anderen Dingen beschäftigt, so Ayse Yilmaz. Immerhin sei ein Gespräch mit der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des Bundestags, der Bündnisgrünen Claudia Roth, in Vorbereitung. Und: Die Reise duch die EU geht weiter. Gestern Abend trat Ayse Yilmaz in Paris auf. JEANNETTE GODDAR
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