Frühling schon vorbei?

Die Aufregung um die jüngste deutsche Literatur war groß. Nach dem langen Jubel fürchtet die Branche jetzt eine Trendwende. Doch: Ende des Medienhypes heißt nicht Ende des Erfolgs. Eine Bilanz zur heute beginnenden Frühjahrsbuchmesse in Leipzig

von VOLKER WEIDERMANN

Sie trommelten. Und sie lächelten. Vor einem halben Jahr, zu Beginn der Frankfurter Buchmesse, band der Spiegel den jüngsten deutschen Nachwuchsdichtern Blechtrommeln um den Bauch, um titelbildgroß die Nachfolger von Grass und Co, die allerneueste deutsche Literatur zu feiern. Vom „lustvollen Erzählen“, einer „neuen Unbekümmertheit“ und „Aufbruchstimmung bei deutschen Schriftstellern und ihren Verlegern“ war da auf vielen Seiten zu lesen.

Ein Trend wurde hier Nachrichtenmagazin-offiziell bestätigt, der sich ganz von selbst schon lange zuvor, mit Erfolgsbüchern wie Thomas Brussigs „Helden wie wir“, Christian Krachts „Faserland“, Ingo Schulzes „Simple Storys“, Judith Hermanns „Sommerhaus später“ und den Verkaufsschlagern von Benjamin von Stuckrad-Barre und Benjamin Lebert, eingestellt hatte. Die Branche feierte sich und ihr frisches Image auf der Frankfurter Messe fröhlich selbst. Wird auf der heute beginnenden Leipziger Buchmesse weitergefeiert?

Vielleicht in diesem Frühjahr noch mal besonders ausgelassen. Denn einige Verlage fürchten, dass der Trend zur jüngsten deutschen Literatur, die Begeisterung, mit der die meisten Neulinge von Buchhandel und Lesern aufgenommen werden, bald zu Ende gehen könnte. Einige Verleger drängen ihre DebütantInnen in diesem Frühjahr zu einem raschen Fertigstellen ihres Romans, weil sie davon ausgehen, dass der Markt der vielen gefeierten Neulingswerke schon im Herbst so überdrüssig sein könnte, dass der Erfolg ausbleiben wird. Das berichtet zum Beispiel ein junger Schriftsteller, dessen in diesen Tagen erscheinender Roman eines der interessantesten Debüts dieses Frühjahrs ist. Und auch Alexa Hennig von Lange, die mit „Ich bin’s“ Anfang des Jahres schon ihren zweiten Roman veröffentlichte, meint, wer bis zu Ende diesen Jahres keinen Namen auf dem Buchmarkt hat, wird es schwer haben. „Der Boom geht vorbei.“

Für kleine Verlage ist die Konkurrenz sehr hart

Aber auch jetzt schon ist nicht jeder junge Debütant so leicht auf dem Markt zu platzieren. Vor allem kleinere Verlage haben es schwer, bei der Erfolgsgeschichte mitzumachen. Die Konkurrenz ist hart: Der kleine Alibaba-Verlag etwa wollte sich in diesem Frühjahr auch zum ersten Mal auf das Wagnis eines ganz jungen deutschen Debütanten einlassen: Jan Drees (20 Jahre, Leichtathlet, Schüler in Wuppertal) hatte schon mehrere Erzählungen in Anthologien bei Alibaba veröffentlicht, dann brachte er das Manuskript eines Kurzromans vorbei (über Dennis Riem, 18 Jahre, Leichtathlet, Schüler in Wuppertal), das er „ so nebenher geschrieben“ hatte, wie er sagt. Alibaba sagte zu, bot, wie man meinte, marktübliche Konditionen. Doch Drees hatte das Manuskript auch an andere Verlage geschickt, die das Alibaba-Angebot auf Anhieb um das Fünffache überboten.

Der Kleinverlag konnte nur mit Hilfe eines großen Taschenbuchverlages, der die Zweitverwertung übernahm, mithalten. Ging dabei aber an die Grenzen des für einen kleinen Verlag Machbaren. Jetzt hat man 1.500 Manuskripte an den Buchhandel herausgeschickt, und „der blockt total“, sagt die Alibaba-Chefin Anne Teuter. Das Buch droht ein Flop zu werden. „Ein Benjamin Lebert genügt dem Markt anscheinend.“ Dafür sind von dem Buch aber schon die Filmrechte verkauft. Und währenddessen verhandelt Drees schon über einen Vertrag für sein neues Buch. Diesmal gleich mit Kiepenheuer und Witsch.

Noch ist die Verhandlungsposition junger deutscher Schriftsteller gegenüber Verlagen glänzend. Im Moment kann richtig gut Geld verdient werden. Das liegt zum einen Teil daran, dass sich schon 18-Jährige von professionellen Agenten vertreten lassen, aber auch am unbedingten Willen der Verlage, bei dem Trend mitzumachen. Der Programmchef für Belletristik der Deutschen Verlagsanstalt, Werner Löcher-Lawrence, der, für seinen eher gediegenen Verlag etwas ungewöhnlich, letzten Herbst den Jungliteratensampler der Christian-Kracht-Freunde, „Mesopotamia“, herausbrachte, erklärt die Bedeutung solcher Projekte so: „Wir möchten ein Programm haben, das nicht verstaubt ist“, sagt er und weiß gleichzeitig: „Die Konkurrenz wächst enorm.“

Ein dünnes Manuskript für schlichte 100.000 Mark

Der Rowohlt-Lektor Marcel Hartges klagt ähnlich: „Die Honorare steigen ins Unermessliche“, und Dorle Maravilla, die Programmchefin bei Ullstein Berlin, erklärt ganz offen, dass ihr Verlag da meist nicht mithalten könne. Und deutet auf ein dünnes Manuskript, das vor ihr auf dem Tisch liegt: Zwei Erzählungen, zusammen mit Entwürfen für drei weitere Geschichten und dem Exposé für einen Roman von einem 25-Jährigen, der noch nichts veröffentlicht hat: „Wir haben mitgeboten, aber schließlich ging er für 100.000 Mark Vorschuss zu einem anderen Verlag.“ Benjamin Lebert, dessen Internatsroman „Crazy“ inzwischen weit mehr als 200.000-mal verkauft wurde, soll für seinen neuen Roman von KiWi einen Vorschuss von 300.000 Mark bekommmen haben. Für „Crazy“ hatte es wohl kaum mehr als 10.000 gegeben.

Der Markt läuft heiß, Intrigen, Missgunst, Machtkampf schaden neben den explodierenden Honoraren dem frischen Boom. Und auch in den Feuilletonredaktionen macht sich mitunter Überdruss breit, wenn Literaturredakteure von eher unbekannten Verlagen mit den Worten: „Wir haben einen total unbekannten 19-Jährigen in unserem Programm“ an deren Leipziger Messestand gelockt werden sollen. Der Boom hat auch seine lächerlichen und mitunter nervigen Seiten.

Ein Fels in der Brandung gegen all diese Trends und Booms und Wellen ist immer noch der gute, alte Suhrkamp Verlag. „Jeder weiß, dass Suhrkamp keinen Trends hinterherläuft“, erklärt Pressesprecherin Heide Grassnick knapp und klar. Helle Empörung herrschte vor einigen Tagen im Hause Suhrkamp, als in der FAZ das Gerücht kolportiert wurde, Suhrkamp verlege jetzt nur noch Autoren mit einer Startauflage von 7.000 Exemplaren. „Da wird Unseld reagieren“, drohte Grassnick daraufhin und erklärte, dass, wenn diese Regel tatsächlich gelte, Rainald Goetz, Heiner Müller, Peter Bichsel und Werner Fritsch gar nicht verlegt werden dürften. Peter Handke erreiche mit der ersten Auflage gerade mal so die 7.000er-Grenze.

Die Aufregung über dieses Gerücht steht für die Linie des Traditionshauses: Schielen nach der Auflage gilt als ehrenrührig. Oder, wie Lektor Thorsten Ahrend sagt: „Dass unsere Literatur nicht mehrheitsfähig ist, davon gehen wir aus.“ Richtig aufregen kann Ahrend auch, dass ein Großteil der jüngsten deutschen Literatur unter dem Signet „Pop“ verkauft wird. Er nennt das „seichten Popscheiß und Stapelliteratur“. „Was da modern erscheint, ist in der Substanz abgestanden.“ Die echten Popliteraten seien mit Albert Ostermaier, Andreas Neumeister, Thomas Meinecke und Rainald Goetz ohnehin bei Suhrkamp unter Vertrag. „Das ist Literatur, nicht Partygeschunkel.“

Inzwischen seien jedoch die ganzen Begriffe so „versaut“, dass man das Wort „Pop“ bei Suhrkamp jetzt lieber nicht mehr in den Mund nimmt. Noch vor einem Jahr hatte man für Neumeister und Goetz mit den zwei Worten „Suhrkamp Pop“ geworben. „Das würden wir heute nicht mehr machen“, sagt Ahrend. Aber die Welle geht ja vorbei, ist sich der Lektor sicher, und dann wird Suhrkamp immer noch Pop machen, wie vorher auch.

Gegen Suhrkamp und seine „Einschüchterungskultur“

„Die Popschiene, die haben wir anderen Verlagen voraus“, sagt allerdings auch Martin Hielscher, Lektor bei Kiepenheuer und Witsch, dem Verlag, der Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre und Benjamin Lebert im Programm hat. Hielscher ist wohl der umtriebigste Promoter der jüngsten deutschen Literatur, der gern gegen das „Erzähltabu“ in der deutschen Nachkriegsliteratur wettert und die neue Lust am Erzählen preist. Dass all das nur ein vorübergehender Trend sein soll, findet er naturgemäß absurd. Warum soll das auch vorübergehen, wenn junge Schriftsteller endlich wieder gern und gut erzählen und das Publikum das auch noch lesen will. Die alte „Einschücherungskultur“ von Suhrkamp, wie er es nennt, habe jedenfalls ausgedient, und das sei gut so.

Auch Chefeinkäufer der großen Buchhandelsketten gehen davon aus, dass der Markt für die junge deutsche Literatur wenigstens konstant bleibt. Der Buchkaufhauskonzern Hugendubel plant für Ostern eine große Jahresbeilage, die erstmals ausschließlich junge deutsche Literatur zum Inhalt haben wird, und Martin Setzke, Leiter der Belletristikabteilung der Hugendubel-Filiale in der Berliner Friedrichstraße, erklärt, wie bei jedem Medientrend wird es auch mit der jüngsten deutschen Literatur so sein, dass die große Aufregung in den Feuilletons irgendwann aufhört, der Markt aber dann nicht etwa wegbricht, sondern sich auf hohem Niveau konsolidiert. Wie zuletzt bei der holländischen und skandinavischen Belletristik.

Es sieht also doch so aus, dass wir nicht am Beginn des letzten unbeschwerten Bücherfrühlings der jüngsten deutschen Literatur stehen. Nur die Aufregung wird sich etwas legen. Und in Leipzig kann ganz ruhig und gelassen gefeiert werden.