„Der Zugang zum Wasser ist ein Menschenrecht“

Riccardo Petrella, 59, Präsident der European University on Environment, tritt für einen „globalen Wasservertrag“ ein

taz: Herr Petrella, Sie sind ein ausgewiesener Gegner der Wasser-Privatisierung. Warum?

Riccardo Petrella: Der Zugang zum Wasser ist ein Menschenrecht, denn sauberes und ausreichendes Wasser ist für jeden Menschen lebensnotwendig. Es hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass der Zugang zum Wasser kein Menschenrecht ist, sondern nur ein menschliches Bedürfnis. Das bedeutet, dass es keine Verpflichtung gibt, den freien Zugang zum Wasser zu garantieren. Das ist ein Rückschritt bei den Menschenrechten.

Welche Folgen befürchten Sie für die Menschen?

In den Ländern, in denen privatisiert wurde, werden zahlreiche Menschen vom Bezug des Wassers ausgeschlossen, wenn sie nicht bezahlen können. Das ist nicht nur in Entwicklungsländern so, sondern zum Beispiel auch in England. Wenn auch das Notwendigste zur Ware wird, dann wird unsere Gesellschaft durch nichts mehr zusammengehalten.

Viele Staaten sind anscheinend nicht in der Lage, ihren Bürgern genügend Wasser zur Verfügung zu stellen. Müssen nicht doch die Privaten ran?

Nein. Wir müssen vielmehr die Regierungen kritisieren, die, wie es etwa Indien getan hat, ihren Militärhaushalt um 20 Prozent steigern, aber nichts für das Wasser tun. Das Versagen des Staates ist kein Argument für die Privatisierung, sondern für eine bessere Regierung.

Warum erfolgt der Privatisierungsschub in der Wasserwirtschaft vor allem bei der Abwasserentsorgung?

Bisher ist die Profitrate bei der Abwasserentsorgung höher als beim Verkauf des Trinkwassers, auch das Investitionsvolumen ist größer. Deshalb ist dies gegenwärtig das hauptsächliche Einfallstor für die Privatisierung.

Was ist die Grundlage, um Wasser für jeden Menschen zugänglich zu machen?

Wasser ist ein gemeinsames Gut der Menschheit, das in Achtung vor den künftigen Generationen zu erhalten ist. Deshalb ist es oberster Grundsatz, den Zugang zum Wasser als Menschenrecht zu betrachten und für alle zu garantieren.

Wollen Sie Wasser in Zukunft kostenlos verteilen?

Die Kosten, die der kommunalen Einheit entstehen, werden geteilt. Jedem Individuum sollen im Durchschnitt jährlich 1.000 Kubikmeter Wasser zur Verfügung stehen, für alle Zwecke, einschließlich Landwirtschaft und Industrie. Was darüber ist, muss dann teurer bezahlt werden.

Hätten private Anbieter an dem Modell noch Interesse?

Die Verwaltung des Wassers ist nicht vorrangig eine Aufgabe von Bankiers, Ingenieuren und Chemikern, sondern eine demokratische Bürgeraufgabe. Deshalb gehört sie in die Parlamente – lokale Parlamente, regionale Parlamente bis hin zu einem Welt-Wasser-Parlament, das sich alle zwei bis drei Jahre einmal trifft.

Interview: WERNER RÜGEMER