Die Abstauberin

Mit ihrer merkwürdig gebrochenen Stimme betreibt Macy Gray Soul als permanenten Selbstverweis  ■ Von Oliver Rohlf

Letztlich war alles ganz anders geplant. Nein, Macy Gray, der letzte heiße Scheiß black music in a popular style, wollte anfangs nie das werden, wofür sie die Massen jetzt lieben: eine Vermittlerin zwischen Chart-Attack und Seelenschmerz. Auch hatte die Chanteuse mit der Kieksstimme auch nie in ihr Poesiealbum hineingeträumt, mit nur zwei Singles und einem Album gleich zwei Brit-Awards, zig internationale Branchen-Nominierungen und eine Tournee im Vorprogramm von Carlos Santana abzustauben.

Denn ganz tief drinnen zog es die stets ein wenig verschüchtert wirkende Sängerin aus Ohio in Richtung Zelluloid, Leinwand und Autorenkino. Da sich aber in den meisten Fällen mit der großen Leidenschaft nicht ad hoc das große Geld verdienen läßt, sang die junge Natalie McIntyre, so Macy Grays richtiger Name, zwecks geregeltem Einkommen in einem kleinen Hotel in Los Angeles Jazz-, Club- und Rockstandards. Easy money, so der bewährte Clou, wenn auch ohne wahre Passion. Dass sie ausgerechnet dort, wo das Gefühl zuhause blieb, von den üblichen Branchenverdächtigen als Soul-Newcomerin eingeschätzt und entdeckt wurde, kommt der Privatperson wie Künstlerin selbst heute noch komisch vor. Denn das Mädchen mit der merkwürdigen Stimme dachte immer von sich, nicht gut genug singen zu können und tat dies nur, weil ihr andere das Gegenteil einredeten.

Fürwahr: es soll nicht wenige geben, die dachten bei den ersten gehauchten Zeilen ihrer ersten Single „Do Somethin'" an die piepsende Polizistin Hooks aus den unsäglichen Police Academy-Klopfern. Und weil Bühne und Ich anfangs so endlos weit auseinander schienen, lieh sich die einstige Filmstudentin den Namen eines männlichen Charakters aus einem ihrer selbst geschriebenen Drehbücher aus – und hörte als Sängerin fortan auf den Namen Macy Gray. Doch nun ist es exakt so weit gekommen wie oben beschrieben, und das Pseudonym Macy Gray wird mit allgemeiner Zustimmung als die derzeit geltende Konsensgröße abgenickt.

Woran liegt's? Vielleicht daran, dass der gebrochene Seelenschmerz der Gray im direkten Vergleich zu all den anderen R'n'B-Weibchen so etwas wie Wahrhaftigkeit suggeriert. Nichts gegen die perfektionierte Künstlichkeit von zusammengecasteten Girlgroups, stimm-schwachen Studiowundern und Bauchnabel-Exhibitionistinnen. Plastik, wem nach Plastik ist. Macy Gray aber deklariert die begehrten wie dunklen Text-Monumente des Soul, Tristesse, Scheidung und Einsamkeit, als lyrischen Selbstverweis. Wo andere von Dingen singen, die sich noch andere ausgedacht haben, zeigt Gray auf sich und meint „Kenn ich, weiß ich, hab ich schon.“

Musikalisch zwischen leichtem Genugtuungs-Jazz, Eartha Kitt und einem leicht rockenden Al Green, geht es ihren Liedern um ein popkulturelles 1:1 von Erfahrenem, Gewünschtem und Verneintem. Menschen, die aufstehen, um erneut zu fallen und sich wieder erheben, davon erzählt uns die alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Die aktuelle Single „I try“ beschreibt dabei die nicht enden wollende und in sich sinnlose Abhängigkeit einer ihr sehr nahestehenden Person zu einem Mann, der es nicht wert ist, so geliebt zu werden.

Aber Macy Gray ist keine von jenen Roots-Soulern, die wie Lauryn Hill, D'Angelo oder dessen Ex-Frau Angie Stone das Gefühl analog produzierter Greifbarkeit vermitteln können. Dort, wo der neue alte Soul vor Schweiß glänzt und den Körper in einem Atemzug mit Gott nennt, verweist die Gray auf ihren Erfahrungsschatz. Und dem scheint ein einsames Hotelzimmer näher zu sein als der Himmel.

Fr, 24. März, 21 Uhr, Große Freiheit