: Kritik an Scherfs Auftritt gegen Europa
■ Mit Stoiber und Biedenkopf sieht Henning Scherf den Föderalismus bedroht und redet davon, die EU-Reform scheitern zu lassen / Europa-Abgeordnete Jöns (SPD): „Sachfremde Störfeuer“
Die Bundesländer proben den Aufstand gegen die EU: Von Edmund Stoiber über Kurt Biedenkopf und Wolfgang Clement bis hin zu Henning Scherf wehren sich die Ministerpräsidenten dagegen, dass sich die EU in ihre Angelegenheiten einmischt. Vogelschutz, Flora- und Fauna-Schutz, Richtlinien über die Wasserqualität beim Trinkwasser, Abfall-Ordnung, Vergaberichtlinien – in allen Bereichen, hatten Biedenkopf und Clement am 13. Dezember 1999 in einer „Diskussionsgrundlage“ beklagt, wolle die EU den „Entscheidungsspielraum der Länder und Kommunen“ einengen. Dem müsse ein Ende gesetzt werden.
Die Gelegenheit scheint günstig. Wenn in der EU demnächst eine Reform ansteht, durch die das bisherige Prinzip der Einstimmigkeit durch ein Mehrheitsprinzip abgelöst werden soll, um die vergrößerte EU handlungsfähiger zu machen, dann ist die deutsche Zustimmung gefragt: Ein letztes Mal ist für die Abschaffung der Einstimmigkeit eine Einstimmigkeit erforderlich. Und der deutsche Bundeskanzler kann nur zustimmen, wenn die Länder im Bundesrat zugestimmt haben. EU-Reform gegen Länder-Kompetenzen – die beiden Themen haben zwar nichts miteinander zu tun, lassen sich aber zu einem Paket verschnüren: „Der Bundesrat erwartet, dass die Bundesregierung (dieser Struktur-Reform der EU, d. Red.) nur unter der Voraussetzung einer stärkeren Berücksichtigung der Kompetenzen der Länder zustimmt“, hatte Henning Scherf als amtierender Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz im Bundesrat am 4. Februar vollmundig erklärt.
Zehn Tage später hat sich der Bremer SPD-Landesvorstand ohne Wenn und Aber für die europäische Reform ausgesprochen. „Damit stellt die Bremer SPD ihr europapolitisches Engagement einmal mehr unter Beweis“, lobte die SPD-Europa-Abgeordnete Karin Jöns den Parteibeschluss. Auch ihr war klar, dass sich das gegen Scherf richtete: Jöns forderte den Bremer Senat auf, „den Vorsitz der Minis- terpräsidentenkonferenz dazu zu nutzen, eine konstruktive Rolle zu spielen“. Die EU-Reform müsse „von sachfremden Störfeuern, wie sie aus mehreren Ländern kommen, frei gehalten“ werden. In der Sache tut sie Scherfs Vorstoß als unsinnig ab: „Niemand in Brüssel will bewährten föderalen Strukturen an den Kragen.“
Auch Hermann Kuhn, für Europapolitik bei den Grünen, hält die Vorstellung eines Angriffs auf den Föderalismus für „völligen Quark“. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, den Scherf anführe, sei nicht angegriffen, und dass Unternehmen wie die Landesbanken oder die Wohlfahrtsverbände aggressiv im Markt operieren dürften, aber gleichzeitig vor dem Wettbewerb geschützt werden müssten, sei eben niemandem zu erklären. Die Drohung, notfalls die Zustimmung zu der Reform der europäischen Institutionen zu verweigern, findet Bremens SPD-Landesvorsitzender Detlef Albers „ein klobiges Geschütz“, eigentlich nur eine „Ultima Ratio, um Gehör zu finden“.
Was also treibt Scherf? Der SPD-Politiker hält sich mit Erklärungen zurück. Um so offener redet der grüne Oppositionspolitiker Kuhn: „Scherf setzt sich an die Spitze der Länder mit dem Gedanken, dass er Stoiber und anderen damit einen Gefallen tut, der sich bei den Finanzausgleichsverhandlungen auszahlen soll.“
In seiner Regierungserklärung zum Föderalismus hat der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber gestern noch einmal eine Stärkung der Länderkompetenzen gefordert. Gleichzeitig meinte Stoiber, das Privileg der Stadtstaaten wie Hamburg oder Bremen könne im Länderfinanzausgleich keinen Bestand mehr haben. Für Berlin als Hauptstadt müsse der Bund in besonderer Weise Sorge tragen und nicht die Länder. K.W.
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