Wär das schön, wenn er jetzt käme

Sinn und Sinnlichkeit: In Britta Gansebohms Salon wurde die Literaturzeitschrift „quadratur“ vorgestellt

Auf dem hellen Sofa rechts hinten sitzt Ilja Richter und raucht mit der Geste eines kleinen Gentleman Zigarre. Jeder pannesamtbezogene Tisch ist am Dienstagabend im lauschig-überheizten Podewil besetzt. Es sind mehr Männer als Frauen gekommen, mehr allein als zu zweit, und einige von denen, die gern schon mal einen geschmackvollen Kamasutra-Band verschenken und dazu einen Rotwein, sind auch da. Heute geht es um Sex, aber das will natürlich keiner mehr hören, deshalb sind die vielen kultivierten Menschen nicht hier, also geht es um Eros und Sinnlichkeit.

Selbigem Thema widmet sich die jüngste Ausgabe der neuen Literaturzeitschrift quadratur, die an diesem Abend in Britta Gansebohms Salon vorgestellt wird. quadratur kommt aus dem Lande, das noch ein wenig näher am echten Leben dran ist als Berlin: aus dem Ruhrgebiet. Dort haben einige Assistenten der Duisburger Universität die Auffrischung der Wissenschaft beschlossen und eine Zeitschrift gegründet, die vor allem eines möchte: den Diskurs anregen.

Vierundzwanzig Beiträge, Aufsätze und Essays, Radierungen und Fotos, Gedichte und Geschichten umschaukeln das Thema „Eros und Sinnlichkeit“; es geht um Lust und Sex, Schlaf und Essen, Foucault und Luhmann, das Mittelalter und die Großstadt. Die Beiträge sind so unterschiedlich wie das Thema unerschöpflich. Um quadratur vorzustellen und dem gerechten Ziel nachzukommen, an vielen Orten Diskussionen anzuregen, wird also im Podewil Erotisches gelesen. Zur Rechten von Britta Gansebohm sitzen zwei der drei Herausgeber, das Publikum duckt trotz Pannesamt und Kamasutra etwas scheu die Köpfe und wartet ergeben.

Zuerst liest Bettina Hesse zwei Kurzgeschichten. In der einen regnet es, und eine Frau erwartet ihren Liebhaber. „Wär das schön, wenn er jetzt käme“, denkt sie und imaginiert seinen „federnden Schritt und wie die Jeansnaht ihm die Hoden massiert“. Ach ja. Frau Hesse liest ein wenig hanseatisch. „Sie leckt erst an seiner Eichel“, liest sie, als die Tür aufgeht und verspätete Besucher eintreten. Orgasmus, Klappe. Nächste Geschichte. Anna schreibt E-Mails an Oliver, von Mai bis Winter. Sie nennt ihn „Muschelheld“ und muss ihn bald fragen, ob er's mit einer anderen tut. „Hat mir sehr gefallen, im Freibad zu vögeln“, tippt sie. Im Winter ist’s vorbei mit Freibad, und da ist auch die Geschichte aus.

Dann tritt Gerd-Peter Eigner ans Mikrofon. Er trägt aus seinem Roman „Brandig“ vor. Passiert eine kurze Fummelszene, einigen Beischlaf und landet bei einer Hodenoperation einschließlich Beschreibung der Wundschmerzen und Nachwirkungen. Die Geliebte des Herrn Brandig besorgt es ihm gleich post operationem, hält ihm „triumphierend ihr spermatriefendes Gesicht vors Gesicht“, derweil seinen Unterleib „verkrustete Fäden, geronnenes Blut“ umspannen. So ist das, das kennt man noch von damals, vom Blinddarm.

Zur Pause klingt der „Bolero“ vom Band, danach liest Karen-Susan Fessel lesbischen Sex. Eine Frau verliebt sich in eine Berliner Kellnerin, und im Lagerraum des Cafés finden die beiden zu einem herben Quickie zusammen: „War das ein bestimmtes Café?“, lautet die erste Frage aus dem Publikum.

Zum Glück kommt Ilja Richter mit Wichtigerem. „Halten Sie Deutschland für ein erotisches Land?“, fragt er. „Ein Land kann so gesehen nicht erotisch sein“, sagt Bettina Hesse, und Ilja Richter bedeutet ihr, dass er genau darauf hinaus wollte. „Denken Männer destruktiver?“, fragt er später, aber darauf weiß auch Frau Hesse keine Antwort. „Meine Frage wäre, ob Sie sich als erotisch empfinden“, fragt eine zarte junge Frau Karen-Susan Fessel: „Also, ich finde Sie erotisch.“ „Ich finde mich auch erotisch“, sagt Frau Fessel.

CHRISTIANE TEWINKEL