Junge Lebensamateure

„Hochzeiten“: Maike Wetzels Figuren kämpfen umPositionierung in einer schwankenden Bauklötzchenwelt

Möglichst kein Wort zu viel. Die Leere schweigend aushalten und die Fülle der Lockungen ohne Umschweife und konzentriert genießen. „Insert B into A, use C as a handle“, ungefähr so. Was jedem Laien als Anleitung zum Zusammenschrauben von Möbeln dienen soll, könnte auch allen Amateuren des Lebens in ihrer Bauklötzchenwelt helfen.

Die Figuren in den zehn Erzählungen, mit denen die Münchnerin Maike Wetzel debütiert, sind wortkarg und scheu. Sie teilen sich über ihre Körper mit, sie tanzen, haben ziemlich viel Sex, schmiegen sich aneinander oder sitzen einfach nur da. In dem, was sie tun oder nicht tun, sind sie äußerst gegenwärtig. Wenn dann mal ein Satz fällt, steht meist eine ganze Geschichte dahinter. Ein Mädchen namens Jule zum Beispiel lässt sich in Schweden mit einem Mann ein, nachdem sie ihren Begleiter kurz zuvor verlassen hat: „He annoyed me“, heißt es nur lapdiar. Oder eine Rosalie, deren Mutter einen neuen Geliebten gefunden hat, kommentiert dies mit „Ich will mich nicht beklagen. Ich bekam, was auf der Packung stand.“

Alle kämpfen damit, sich irgendwie zu positionieren auf schwankendem Boden. Die Teilhabe am Glück läuft meist über die Projektion der eigenen Sehnsüchte auf andere Menschen, die etwas zu versprechen scheinen. Ängste, Schwindel und Nervosität begleiten diese Suche. Manchmal bewegt sich gar nichts mehr. Man schaut hinaus aufs Meer oder durch ein Fenster und wartet auf Rettung, die nicht kommt. Es ist der sanfte Wahnsinn, der durch alles weht.

Da gibt es die bereits erwähnte Jule, die „im Prospekt nicht vorgesehen“ ist, und Rosalie, die sich fragt, „wie viele Menschen ein Mensch braucht“. Ein anderes Mädchen fährt mit Freunden zur Love Parade nach Berlin, taumelt im Tablettenrausch durch die Clubs, empfindet die Leere über sich „wie einen hellblauen Müllsack“ und weiß, „um mich umzubringen, muß ich auf die Fahrbahn rennen“. Die nächste liebt harmlose Lippen und geht „mit Männern, die mir nichts bedeuten, aber alles versprechen“, und auch das Mädchen Jana „schwört keinem Liebe bis zum ersten Tag“.

Menschen treiben aufeinander zu und wieder voneinander weg, sie locken mit Reizen und schreien vor Angst, sind psychisch instabil und wissen nur, dass sie etwas wollen, ohne genau sagen zu können, was es ist. Man steht am Rande der Bürgerlichkeit, und fragt sich, ob man dazugehören möchte. Wahrscheinlich eher nicht. Obwohl das manchmal unbeholfen und auch aggressiv artikulierte Bedürfnis nach Wärme in unkontrollierten Schüben zirkuliert, erscheint vieles ziellos und einsam. Diese jungen Frauen sind wie junge Hunde, verspielt, wild und liebeshungrig. Sie leben auf ihren Inseln inmitten eines Meers aus Lärm und Bewegung, der Zutritt ist streng reglementiert. Trotzdem möchten sie manches teilen und wissen nicht, wie.

Der gleiche Verlag und die gleiche Gattung, nur wenige Jahre Altersunterschied, ein ähnlicher Gestus und dieselben Themen – der Vergleich mit Judith Hermanns Geschichten wird Maike Wetzel wohl nicht erspart bleiben. Aber er ist fruchtlos, denn wir haben es mit einer Autorin zu tun, die jenseits von Generationsfragen und Lebensgefühlen in ihren besten Texten einen unverwechselbaren, sehr bildhaften und sprachlich komprimierten Stil entwickelt hat. Sie ist eine kraftvolle Stimmungsmalerin, dabei sparsam in der Ausstattung und präzise in der Beobachtung. Erzählhaltung und Situation fließen perfekt ineinander; filmische Sequenzen, Standfotos und knappe Dialoge mischen sich zu einer eigenwilligen Bewegung, die auf Distanz hält und anziehend ist zugleich: „Wir alle sind verliebt in sie. So wie sie dasitzt und nichts mit uns teilt.“

THOMAS KRAFT

Maike Wetzel: „Hochzeiten“. Erzählungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2000. 128 Seiten, 20 DM