: Die Bundesregierung will via Internet wissen, welche Innovationen die Deutschen in den nächsten Jahren erwarten

Beamte fragen – Bürger haben keine Ahnung

Die Zukunft ist schon lange nicht mehr, was sie einmal war. Dafür gibt es immer mehr Futurologen, die Zukunftsszenarien entwerfen. Allein in den USA wird der Umsatz der Vorhersage-Branche auf jährlich 200 Milliarden Dollar geschätzt. Mit dem früher üblichen Würfeln und Pendeln, dem Lesen von Karten oder Kristallkugeln will diese Industrie allerdings nichts zu tun haben – streng wissenschaftlich soll es nun zugehen.

Eine verbreitete Methode der Zukunftsschau sind Expertenbefragungen. Nach dem griechischen Orakel werden diese Fragebogenaktionen Delphi-Studien genannt. Ihre Aussagen sind denn auch ungefähr so eindeutig wie die des antiken Vorbilds – überwältigend ist ihre Trefferquote bislang jedenfalls nicht. In Japan zum Beispiel, wo sich die Technologiepolitik schon seit 1971 an Delphi-Studien orientiert, wurde zwar richtig vorhergesagt, dass das Faxgerät weite Verbreitung finden wird – insgesamt aber lagen zwei Drittel aller Prognosen daneben. Viel schlechter waren die alten Römer, die in Tier-Eingeweiden nach der Zukunft stocherten, auch nicht. Ganz zu schweigen von Jules Verne: Von 96 Erfindungen, die der Science-fiction-Autor beschrieb, wurden 57 realisiert, etwa U-Boot und Fernseher.

Die deutsche Bundesregierung möchte sich trotzdem nicht auf Schriftsteller verlassen, sondern zieht Foresight-Verfahren vor, um „die Zukunft vorzubereiten und Orientierungswissen zu sammeln“. Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) befragte das Karlsruher Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung 7.000 Experten, was sie für die Zukunft erwarten. Abgefragt wurden mögliche Entwicklungen von zwölf Innovationsfeldern, Themengebiete wie „Information und Kommunikation“, „Umwelt und Natur“ oder „Raumfahrt“. Rund 2.000 Fachleute antworteten.

Mit der so entstandenen Studie „Delphi 98“ ist die Regierung nun allerdings nicht so ganz zufrieden. „Bei Delphi existieren die Visionen und Trends bereits in den Köpfen derjenigen, die die Fragebögen erstellen“, erläutert Dr. Dr. Reinhard Löser vom BMBF: „Neue, innovative Ansätze ergeben sich dadurch eher selten.“ Außerdem würden die Beispiele Gentechnik und Transrapid zeigen, dass nicht alles, was Experten für machbar halten, von den Bürgern akzeptiert werde.

Um die breite Öffentlichkeit früher in Planungen einzubeziehen und zu besseren Ergebnissen zu gelangen, hat daher das BMBF unter dem Namen „Futur“ einen so genannten Zukunftsdiskussionsdialog gestartet – laut Reinhard Löser „etwas ganz Großes, was es noch nie in Deutschland gab“. Im Internet richtete das Ministerium zu Jahresbeginn unter www.futur.de eine „Diskussionsplattform“ ein, wo „alle Bürger aufgefordert sind, sich einzubringen“. Während früher die Untertanen lediglich Steuergeld und wehrfähige Kinder abliefern mussten, will der Staat heutzutage auch noch neue Ideen und einen „breiten gesellschaftlichen Diskurs“ über die Zukunft haben.

Im Moment werden bei „Futur“ die Themen „Mobilität und Kommunikation“ sowie „Gesundheit und Lebensqualität“ behandelt. Bisher tröpfeln die Diskussionsbeiträge eher spärlich. Ob die Internet-Teilnehmer wohl noch redseliger werden? Nichts Genaues wird man auch mit „Futur“ nicht über die Zukunft wissen – aber die Ratlosigkeit wird wohl ein ganz anderes Niveau erreichen.

MARTIN EBNER