Ratlos in Osttimors Zukunft

Nur mühsam kommt im zerstörten Osttimor der Wiederaufbau voran. Die UNO-Verwaltung will die ersten freien Parlamentswahlen jetzt vielleicht vorziehen

BANGKOK taz ■ Der junge Guerillero Julio Soares weiß nicht, was aus ihm werden soll. Vor einem halben Jahr, als Indonesiens Armee aus Osttimor abzog, war er voll Hoffnung auf ein besseres Leben. Aber der Frieden ist hart: Soares’ Chance, einen zivilen Job zu finden, ist gering. Der 25-Jährige kann wie viele Jugendliche, die sich einst der Unabhängigkeitsbewegung Falintil angeschlossen hatten, nicht lesen und schreiben. Und Arbeitsplätze sind rar. Vier Fünftel der Osttimoresen sitzen auf der Straße.

Ob Soares stattdessen weiter Soldat bleiben kann, ist ebenso ungewiss: Bislang konnten sich die politischen Köpfe des osttimoresischen Widerstands und die UNO-Übergangsverwaltung (Untaet) nicht darauf einigen, was mit der Guerilla geschehen soll. So warten die 1.000 bewaffneten Männer in Aileu außerhalb der Hauptstadt Dili noch ab: „Werden wir eine konventionelle Armee haben oder nur eine nationale Polizei oder eine Mischung aus beiden“, überlegt Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta. „Und wird die Falintil darin integriert sein?“

Gegen die Überfälle pro-indonesischer Milizen, die neuerdings immer häufiger nach Osttimor vordringen, werden derzeit nur Blauhelmsoldaten eingesetzt. Ende März will die UNO beginnen osttimoresische Polizisten auszubilden. Als Untaet-Chef Sergio Vieira de Mello im Herbst seinen Posten in Dili antrat, ahnte er nicht, wie lange es dauern würde, bevor er mit dem Aufbau des zerstörten Osttimor beginnen konnte: Noch immer haben die meisten kein Dach über den Kopf und ist nur ein Bruchteil der international zugesagten Hilfe von über 500 Millionen US-Dollar eingetroffen.

Einige Entscheidungen sind inzwischen gefallen: Statt, wie anfänglich vorgeschlagen, den portugiesischen Escudo zur Landeswährung zu machen, einigte man sich schließlich pragmatisch auf den US-Dollar. Trotzdem sind auch australische Dollars, Escudos und indonesische Rupiah in Umlauf.

Noch immer ist der Streit um die Landessprache nicht endgültig entschieden. Unter der 24-jährigen indonesischen Herrschaft war Portugiesisch die Sprache des Widerstands und der Kirche. Grund genug für alte Rebellenführer wie Xanana Gusmao und Geistliche wie Bischof Carlos Belo, daran festzuhalten. Doch die Jugend zieht Englisch vor. Wenn schon eine neue Sprache, dann lieber eine, die sie mit dem nahen Australien verbindet. Obwohl in Osttimor nur 800.000 Menschen leben, sind die kulturellen Unterschiede groß. Nicht alle verstehen den in Dili vorherrschenden Dialekt „Tetum“.

Die UNO und Weltbank-Mitarbeiter sollen schnell dafür sorgen, dass Schulen, Straßen und Entwicklungsprojekte geschaffen werden. Doch zugleich fehlen Gesetze, Gerichte oder Bürgermeisterämter, die entscheiden, wem Grund und Boden gehören. Immer öfter verlangen Bauern oder Geschäftsleute, die von den Portugiesen oder indonesischen Militärs enteignet worden waren, ihren Besitz zurück.

Viele Osttimoresen haben ein zwiespältiges Verhältnis zu den ausländischen Experten: Sie wissen, dass sie deren Hilfe brauchen, und fühlen sich zugleich überrollt. Auch unter UNO-Mitarbeitern wird der Vorwurf immer lauter, dass man sich zu wenig um die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung bemüht habe. Ein britischer Experte kündigte kürzlich seinen Job unter Protest, weil die UNO sich wie eine neue „Kolonialmacht“ verhalte.

Offenbar alarmiert vom wachsenden Unmut schlug Untaet-Chef de Mello inzwischen vor, Osttimors erste freie Parlamentswahlen schon 2001 abzuhalten. Schon im August wird die Widerstandsbewegung ihren ersten Kongress seit dem Unabhängigkeitsreferendum veranstalten. Danach, so der Untaet-Chef, „ist die Zeit vielleicht reif, Osttimors zivile Gesellschaft zu befragen, wie die künftige Verfassung aussehen soll“. JUTTA LIETSCH