Akzeptabler Geschäftsabschluss

55 Jahre nach Kriegsende bekommt die deutsche Wirtschaft endlich Rechtssicherheit. Jetzt warten die Zwangsarbeiter auf ihr Geld

von CHRISTIAN SEMLER

Die 8,1 Milliarden Mark für direkte Auszahlungen an Sklaven- und Zwangsarbeiter, auf die sich die Verhandlungspartner der Lambsdorff/Eizenstat-Runde gestern geeinigt haben, tragen deutliche Spuren eines Kompromisses in der letzten Minute. Sie sind ziemlich weit entfernt von dem Wunsch der ehemaligen Zwangsarbeiter, die zehn zugesagten Milliarden möglichst vollständig zu ihrer Entschädigung zu verwenden. Es ist aber gelungen, die ursprünglich beabsichtigte Diskriminierung der osteuropäischen Zwangsarbeiter zu vereiteln, den Sklavenarbeitern eine Summe zuzubilligen, die über der 10.000-Mark-Entschädigung liegt, die der Autokonzern VW zugesichert hat, und die sogar den in der Landwirtschaft zur Arbeit gezwungenen einen, allerdings bescheidenen, Anteil sichert. Das Wie und Wann der Auszahlung sowie deren Kontrolle stehen somit im Prinzip fest.

Die Unternehmerseite hat Abstriche an ihrem „Zukunftsfonds“ machen müssen, mittels dessen sie ihr „historisches Verantwortungsbewusstsein“ unterstreichen wollte. Kein Minus gab es bei der einen Milliarde, die für die Abgeltung von Vermögensschäden infolge rassischer Verfolgung verwandt werden sollen. Auf dieser Summe bestanden die Banken und die Versicherungen (in Gestalt des Marktführers Allianz). Sie soll Letzteren die ersehnte Rechtssicherheit auf dem Markt der USA bringen.

Die „Rechtssicherheit“ soll durch ein Regierungsabkommen mit den USA gewährleistet werden, dem sich die osteuropäischen Regierungen anschließen werden. Dieses Abkommen ist Voraussetzung für die Ratifizierung des Stiftungsgesetzes durch den Bundestag.

Mit dem Abschluss der Verhandlungen hat ein dunkles Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte einen halbwegs akzeptablen Abschluss gefunden. Jahrzehntelang weigerten sich die deutschen Unternehmen, sekundiert von den jeweiligen Bundesregierungen, die Zwangsarbeiter zu entschädigen. Das Bundesentschädigungsgesetz schloss Zwangsarbeit als Entschädigungsgrund ebenso aus wie seine späteren Ergänzungen. Die Forderungen der Zwangsarbeiter wurden völkerrechtlich als Reparationen angesehen. Ihre Erfüllung wurde bis zum Abschluss eines Friedensvertrags herausgeschoben. Als der in Gestalt des Zwei-plus-vier-Vertrages schließlich kam, sorgte die damalige Kohl-Regierung dafür, dass das Thema unter den Tisch fiel.

Lange Zeit waren es nur die Grünen und SPD-Einzelkämpfer, die eine Bundesstiftung für die Zwangsarbeiter forderten. Die Koalitionsvereinbarung sah deren Errichtung vor. Dass sich schließlich im Frühjahr letzten Jahres eine Initiative der deutschen Wirtschaft gründete, ist weniger späten moralischen Regungen der Unternehmer zu danken als dem Druck, der über den großen Teich herüberkam.

Der New Yorker Anwalt Melvyn Weiss reicht eine Sammelklage gegen Ford ein, da der US-Autokonzern von der Zwangsarbeit in seinen Kölner Werken profitiert habe. Die deutschen Unternehmen fürchteten eine Flut von Klagen auf sie zukommen, wenn dies Erfolg hätte. Schon einen Monat später kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) an, zusammen mit der Wirtschaft einen Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter einrichten zu wollen. Im Gegenzug sollte die amerikanische Regierung weitere Klagen per Dekret für unzulässig erklären.

Noch haben sich nicht alle deutschen Unternehmen, die seinerzeit Zwangsarbeiter ausbeuteten, von dem Modell überzeugen lassen. Wie halsstarrig viele nach wie vor sind, lehrt ein Blick auf die kurze Teilnehmerliste an der Stiftungsinitiative.