Ein Würstel in Gelb-Rot

Herr Schröder schmachtet sie an, die dünne Doris nimmt sie ihm weg. Ungeachtet des Disputs bei Kanzlers feierte sie kürzlich unbeschadet ihren 50. Geburtstag. Nicht Doris, sondern die Currywurst. Und sieht dabei glänzend aus: so glatt und prall

von WOLFGANG ABEL

Die gute alte Tante Currywurst, zu genießen mit hoch geschlagenem Mantelkragen, bei Graupel, im Schummer einer Straßenlaterne, serviert von Else, deren Dauerwelle an guten Tagen ein wenig an eine Klobürste erinnert. Die Legende gehört zur Currywurst wie der feine Fettfilm zum Resopal der Bude. Im Besonderen in jenen Regionen des Landes, wo Graupelschauer ganzjährig Saison haben und die Vorstädte immer Tatort-tauglicher werden.

Zur Blüte braucht die Currywurst einen gewissen Bodensatz an Tristesse, ein fein komponiertes Ambiente aus Schmutzfarben, Verkehrsbegleit-Grün und leicht klebrigem Asphalt, wie es etwa das mitteldeutsche Hügelland um Kassel oder Bebra bieten kann. Auch in Berlin konnte sich die C-Wurst – wie übrigens die gesamte Kultur des Essens im Stehen – vortrefflich entwickeln. Lange Zeit trafen dort ja nicht nur politische, sondern auch kulinarische Systeme mit einiger Schärfe aufeinander. Und bis heute stehen Döner, Minipizza, Falafel, Bulette und Wurst in der ehemaligen Sektorenstadt in Konkurrenz zueinander, durchaus zum Nutzen des Konsumenten. Anders als die Kader des kommunistischen Systems verstand sich die Curry-Nomenklatura nämlich stets darauf, durch Erneuerung und Systempflege am Gaumen der Kundschaft zu bleiben.

Berlins führende Rolle an der Curryfront ist derzeit am Wittenbergplatz zu beobachten, der mit einigem Recht auch „Platz der Currywurst“ heißen könnte. Alle vier Ecken sind einschlägig besetzt, dem Kenner fallen aber besonders jene zwei Stände auf, wo „Neuland-Würste“ verbraten werden. Bei „Witty’s“ (Mo. bis Fr. 10 bis 20 Uhr) ist es gar Bratgut von „Bachhuber“, einem der Pioniere der Berliner Biometzgereien. Hinter dem Tresen stehen bei „Witty’s“ aber keine ausrangierten Türsteher, sondern junge, ranke Herren im besten Doktorandenalter, deren Diskursfähigkeit allemal für einen Exkurs über Pommes rot-weiß hinaus genügen würde. Entsprechend differenziert fällt das Soßenangebot aus, neben Ketchup und Mayo bietet die Gourmetbude auch exotische Saucen an, darunter eine asiatisch süß-sauere sowie eine Erdnusssoße.

Wobei die Entwicklung ohnehin zu Premiumpommes geht, nicht nur in Berlin. Unlängst erschien in Hamburg ein Führer zu den besten Pommesbuden der Stadt (siehe Rezension), so werden Restaurantkritiker ihre Tätigkeit in Zukunft des Öfteren im Stehen verrichten. Zur Intellektualisierung der Wurst passen nun mal Fritten von der frisch geschnittenen Kartoffel. Bei Witty’s geht man sogar so weit, Kartoffelsorte und Lieferant per Aushang bekannt zu geben, durchaus Vertrauen fördend auch der knappe Avis „täglicher Fettwechsel“. Die Schlangen vor der Bude sind zwar nicht nur der Nachfrage, sondern auch der liebenswerten Umständlichkeit des intellektuell belasteten Personals geschuldet, aber der Platz zeigt, wie alte Systeme durch Produktpflege erfolgreich transformiert werden können.

Eine ganz andere Strategie wird beim Klassiker am Ku’damm 195 gefahren (tägl. 11 bis 5 Uhr). Hier regieren wie eh und je die Altberliner Werte Tempo und Schnauze. Zögerliche Kundschaft wird im Wortsinne abgefertigt. Noch spät in der Nacht fahren Taxen und Limousinen wie Rollkommandos vor, mitunter steigen Damen im bodenlangem Pelz aus, in Begleitung von Herren, die man nur im äußersten Notfall um Feuer bitten sollte. Serviert wird auf Porzellan, mit einer Zwischenlage Pergament, Kenner wählen stets die scharfe Soße, Damen kombinieren gern mit einem Piccolo, bei entsprechender Stimmung auch mal mit einer Flasche Moët.

Auch Mäc-Curry an der Berliner Bundesallee 200 ist alles andere als eine stinknormale Currybude. Der Ort bei der Shell-Tankstelle erhielt durch Wim Wenders düsteren Film „Der Himmel über Berlin“ gleichsam den Ritterschlag. Seither ist auch die Frage der passenden Kleidung zum Currywurst-Genuss nicht mehr so einfach zu beantworten. War man früher mit sportlich festem Schuhwerk, einem lebhaft gemusterten Trainingsanzug (eventuell mit seitlicher Knopfleiste) oder einem Wind- und Sozialkontakt abweisenden Kapuzenshirt an der Bude passend gekleidet, so mischt sich heute immer mehr formal-dunkel, bisweilen auch regelrecht elegant gekleidete Kundschaft unter das Stammpublikum. Es bleibt aber fraglich, ob solch ein sozialer Aufstieg der gemeinen Currywurst auf die Dauer gut bekommt. Zum Grundrezept des Klassikers gehört nun mal ein gewisses Maß an Tristesse. Sie scheint so unersetzbar wie der ockerfarbene Pulverstaub.

Noch ein Wort zu Rezeptur und Service: Die Frage „mit oder ohne“ (Darm) löst leicht grundsätzliche Diskusssionen aus. Aus heutiger Sicht ist sie – wie alle ontologischen Fragen – nicht letztendlich zu klären. Wenig fruchtbar scheinen auch alle Debatten über den substanziellen Kern, das Brät, auf dessen Qualität es ankommt. Fundamentalisten mögen auf helle, kompakte Kalbsbratwürste als Ausgangsmaterial Wert legen, bieten sie doch allein schon wegen ihres Kontrastes zur abendroten Soße eine ästhetisch überzeugende Basis. Das modische anything goes wird indes überall im Lande auch bei der C-Wurst praktiziert. So wird auch die lange Rote mit wippenden Enden und hohem Schweinefleischanteil, ja selbst die rustikale Rindsbratwurst in Ketchup getunkt und mit Curry bestäubt. Zarte Wiener oder Frankfurter Saitlinge schmecken jedoch allzu sehr nach Dekadenz, eine Haltung, die der Currywurst zuletzt ansteht. Mindestens ebenso wichtig wie das Basismodell sind ohnehin die Qualität, Komposition und Verarbeitung der Rohstoffe durch den zuliefernden Metzger. Wie so oft verraten Überwürzung und allzu feine, gar cremig-pastöse Konsistenz die camouflierende Absicht oder zumindest einen generös bemessenen Fett- und Schwartenanteil. Auch deshalb steht eine leichte Körnung der Wurstmasse der Currywurst durchaus gut zu Gesicht.

So wichtig wie die Qualität der Wurst ist ihre fachgerechte Bearbeitung. Die Zerkleinerung in mundgerechte Stücke sollte der Wurstwirt zur Chefsache erklären und nicht etwa jener halbautomatischen Quietsch-Quetsch-und-Hebelmaschine überlassen, wie sie an vielen Buden üblich ist. Zermessern von Hand – erst ein Mittelschnitt, dann beide Hälften zusammengefügt mit drei flinken Schnitten in acht Stücke zerteilt, bei dieser handwerklichen Prozedur sollte es bleiben.

Auf dem Wochenmarkt im feinen Hamburger Stadtteil Blankenese wird statt der üblichen Plastikpikser schweres Metallbesteck gereicht, aber das schmeckt schon wieder nach Manier. Currypulver und Sauce sollten erst unmittelbar vor dem Servieren appliziert werden. Animalische Basis, süß-sauer changierende Soße, belebende Curry-Kopfnote – erst vor hungrigen Augen darf zusammenwachsen, was zusammengehört.

WOLFGANG ABEL, 46, ist Reise- und Food-Autor, zuletzt beglückte er die taz-Leser mit schweren Beleidigungen der Michelin-Sterneverteiler, räsonierte über Spargel und Schokolade