Operation im Wüstensand

Fünf Tage auf Kamelen durch die Einsamkeit des Grand Erg Oriental. Die südtunesische Wüste als leichter Einstieg ins Beduinen-Feeling. Die Kameltreiber sind Profis: Wüstenkenner, Animateure, Bäcker und Köche

von REINHARD KUNTZKE

Ohne zu zögern greift Ali bin Hammet zum Messer. Ein schneller Schnitt, und schon liegt Massruts linker Nasenflügel im Wüstensand. Ein Zittern geht durch den massigen Körper des Tieres, die Muskeln entspannen sich. Massrut stößt ein tiefes Grunzen aus und scheint erleichtert zu sein, dass alles vorbei ist.

Massrut ist eines von siebzehn Dromedaren, mit denen die deutsch-österreichische Reisegruppe durch die südtunesische Wüste, den Grand Erg Oriental, zieht. Gleich am ersten Tag war Massrut aus der Reihe der anderen Kamele ausgeschert und hatte sich mit dem Nasenring in der Verbindungsleine verheddert. Voller Panik zerrte er am Strick, der weiche Nasenlappen gab nach, und Massrut holte sich die klaffende Wunde. Mit einer Mischung aus Faszination, Abscheu und Furcht hat die Reisegruppe die improvisierte Nasenoperation im Wüstensand beobachtet.

Es ist fünf Uhr nachmittags. Die Schatten der Dünen sind lang geworden. Das orangefarbene Licht wird blasser und changiert zu den rosa-violetten Tönen der Dämmerung. In gut einer Stunde wird die Sonne verschwunden sein. Zeit für das Nachtlager in der Wüste. „Rrrrrr“, ganz hinten am Gaumen formen die Kameltreiber den Befehl, auf den die Dromedare ihre langen Beine zusammenfalten und niederknien. Manchmal muss ein leichter Schlag auf die Vorderbeine nachhelfen. Kreuz und quer fliegen die Tragelasten in den fein-gelben Sand. Zelte, Töpfe, Schlafmatten, Wasserschläuche, Reisetaschen, Proviant, Decken, Brennholz. Geschäftig wuseln die Trekkingteilnehmer zwischen den Tieren herum, klauben ihre Sachen zusammen und machen sich auf die Suche nach einem windgeschützten Platz zwischen den Sandwechten. Standen die Zelte in der ersten Nacht noch wie eine Wagenburg eng beieinander, lockt jetzt die Weite der Wüste. 100 oder 200 Schritte Abstand müssen es schon sein. Bald lodern drei Feuer in der Einsamkeit. Um das erste hocken die tunesischen Treiber, putzen Gemüse und nippen an den winzigen Gläsern mit dem süß-bitteren Gebräu aus grünem Tee mit frischer Minze. Im zerbeulten Topf gart bereits der Buchweizen für das Couscous. Ein paar Meter entfernt sitzt Ali bin Massrut, der Besitzer des Kamels mit der Nasenwunde, und hütet mit Argusaugen das zweite Feuer. Kein Fitzelchen Abfall – sei es ein Papiertaschentuch oder eine Zigarettenkippe – darf in die Glut gelangen. In einer großen Schüssel hat Ali Mehl, Wasser und Salz ver- mengt und kräftig durchgeknetet. Auf seinen flachen Händen lässt er nun den Laib rotieren, bis aus dem Teig ein großer Fladen geworden ist. Sorgsam streicht er das Feuer glatt und formt eine Mulde in der heißen Glut. Dort hinein wandert der Teigfladen und wird mit Asche bedeckt. Nach 20 Minuten ist das Chrubs, das knusprige Brot, fertig.

Um das dritte Lagerfeuer scharen sich nach und nach die Österreicher und die Deutschen. Mabruck und Ali, der Brotbäcker, servieren. Die rote Chorba, eine Suppe aus Tomaten, Zwiebeln, Getreide und Harissa, der scharfen Paprikapaste, als ersten Gang. Dann Couscous mit Gemüse und Hammelfleisch. Die Löffel kratzen am Blech, bis die tiefen Aluminiumteller leer sind. Die Wüste macht hungrig. Nach dem Mahl kommen auch die anderen Tunesier zum Feuer der Touristen herüber. Hammed bin Mi greift zur Flöte, stimmt eine Sequenz an, in die Ali mit einer Liedzeile einfällt. Mabruck holt die Trommel heraus, schlägt ein paar Takte und schiebt dann das Instrument in die Nähe der Glut. Die Bespannung ist noch zu fest, die Wärme der Flammen muss das Trommelfell elastischer machen.

Wie das Essen gehört die abendliche Musik am Lagerfeuer zum Pauschalangebot des Kamel- trekkings. Die tunesischen Treiber sind Profis, die nicht zum ersten Mal eine Touristengruppe durch die Wüste führen. Für die fünf Tage Arbeit bekommt jeder 30 Dinar, umgerechnet keine 50 Mark. Die Trekkingtouren werden nur saisonal, im Herbst und im Frühjahr, durchgeführt, wenn das Wüstenklima mit maximal 37 Grad Höchsttemperatur für mitteleuropäische Touristen erträglich ist. Ali bin Massrut würde liebend gern auf die anstrengenden Touren durch den Grand Erg Oriental verzichten und eine feste Arbeit annehmen. Aber als Analphabeten haben er und die anderen Treiber keine anderen Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Morgens zwischen sechs und sieben Uhr, wenn das Nachtblau allmählich weicht, gilt ein ungeschriebenes Gesetz: Wer einsam in die Wüste geht, will alleine bleiben. Die Klopapierrolle unter dem Arm, verschwindet eine nach dem anderen zwischen den Dünen. Manche der Trekkingteilnehmer haben sich für die lokale Methode entschieden und nehmen die Wasserflasche mit.

Das Lager ist rasch abgebaut und das Frühstück aus Kaffee, frischem Chrubs, Dattelmarmelade, Käse und Keksen im Stehen schnell verzehrt. Die Dromedare bekommen rohe Kartoffeln, Getreide, einige Granatäpfel und das Brot vom Vortag. Auch die Fliegen dürfen schlemmen. Zu Hunderten landen sie auf Massruts blutiger Nasenwunde, die noch nicht abgeheilt ist.

Geschont wird das verletzte Kamel nicht. Wie alle anderen muss auch Massrut niederknien und wird beladen. Ali wirft drei Decken über den Rücken des Tieres und platziert darauf ein Gestell aus Holz, das er mit Stricken um den Bauch des Dromedars festzurrt. In groben Netzen wird dann das Gepäck beidseitig an den hölzernen Sattel gehangen. Bis zu 200 Kilogramm kann ein nordafrikanisches Dromedar schleppen, das mit den zweihöckrigen innerasiatischen Trampeltieren bloß entfernt verwandt ist. Zu zweit oder zu dritt, mit einer langen Leine verbunden, werden die Dromedare von den Führern durch die Wüste geleitet. Mehr oder weniger elegant thronen die Trekkingteilnehmer auf den Rücken der Wüstenschiffe.

Im Schnellkurs hatte Ali am ersten Tag die wichtigsten Befehle erklärt. Auf ein Schnalzen der Zunge setzt sich das Kamel in Bewegung. Nicht immer, aber oft. Ein französisches „Marchez!“ oder „Allez!“ kann den Vorwärtsdrang des Tieres unterstützen. Das kehlige „Krrrrr“ und der leichte Schlag mit der flachen Hand auf das Hinterteil sollen verhindern, dass Massrut oder die anderen Kamele allzu oft stehen bleiben, um an den Dornensträuchern zu knabbern. Die Bremse ist ein kräftiger Zug am Strick, der am Nasenring der Tiere befestigt ist. Marschierte die Karawane an den ersten Tagen strikt nach Süden, schwenken die Kameltreiber nach der Mittagspause des dritten Tages plötzlich im rechten Winkel nach Osten. Warum genau an dieser Stelle, bleibt den Trekkingteilnehmern verborgen. Die Treiber haben weder einen Kompass noch eine Karte oder ein GPS-Gerät, ein tragbares Satelliten-Navigationsinstrument, dabei. Mabruck erklärt, dass sie sich am Stand der Sonne orientieren und die wenigen Landmarken, wie die Tafelberge, die sich vereinzelt in der Einöde erheben, genau kennen. Aber vor allem würden sie sich nach der Beschaffenheit des Sandes richten.

Am letzten Abend des Kameltrekkings, am Lagerplatz vor der Oase Ksar Ghilane, hocken sechs der Teilnehmer zusammen. Die Landkarte auf den Knien, schmieden sie Pläne für das nächste Jahr: 14 Tage lang auf Kamelen in den tiefsten Süden Tunesiens. Ins Dreiländereck zu Libyen und Algerien, wo auf der Karte nichts mehr verzeichnet ist. Die Wüste hat sie gepackt.

Fremdenverkehrsamt Tunesien, Am Hauptbahnhof 6, 60329 Frankfurt/M., Tel.: 069/23 18 91, Fax: 069/23 21 68. Wanderreisen, die ein mehrtägiges Kameltrekking einschließen, nach Tunesien, Libyen, Marokko, Mauretanien, Rajastan (Indien) und China, bietet: Hauser Exkursionen international, Marienstr. 17, 80331 München, Tel.: 089/23 50 06-0, Fax: 089/291 37 14