Politisch korrekter Eiertanz

Wird der Holocaust trivialisiert, wenn Soldaten in Mülltonnen marschieren? Die Biennale im Whitney Museum hatte mit Hans Haackes Arbeit „Sanitation“ über die kunstfeindliche Rhetorik des New Yorker Bürgermeisters Rudolph Giuliani schon vor Eröffnung einen Skandal

von Thomas Girst

Die Whitney Biennial 2000 ist eröffnet. Seit vorgestern zeigt das New Yorker Whitney Museum die Werke von insgesamt 97 zeitgenössischen, in den USA lebenden Künstlern. Dabei hat ein kleiner Raum hinter einem grauen Vorhang im dritten Stock des Museums die Veranstaltung schon im Vorfeld zum Medienskandal gemacht. Dort ist die schummrig beleuchtete Installation „Sanitation“ von Hans Haacke aufgebaut, die dem deutschen Künstler den Vorwurf bescherte, er trivialisiere den Holocaust.

Haackes Beitrag für die Biennale besteht aus einem Dutzend Mülltonnen, aus denen marschierende Soldatenstiefel schallen. In großen Lettern ist auf dem Boden das First Amendment, der Artikel zur Meinungsfreiheit in der amerikanischen Verfassung, zu lesen. Als Mahnung aus aktuellem Anlass, wie die an der Wand prangenden Zitate konservativer Politiker zeigen, die der Kunst offenbar den Kampf erklärt haben.

Die Hälfte der Sprüche sind kunstfeindliche Hasstiraden des New Yorker Bürgermeisters Rudolph Giuliani, die Haacke in Frakturschrift wiedergibt. Es sei dieser Schrifttyp, der Giuliani mit den Nazis gleichstelle und dadurch den Begriff des Holocaust verwässere, verlautbarte sogleich die Anti-Defamation League – „Nazi-style script“, wie die New York Times erklärte, der die Installation des Künstler gleich die Titelseite wert war. Für Haacke ist diese Interpretation absurd: „Ich habe mir wohl gedacht, dass der Bürgermeister nicht begeistert sein wird, aber natürlich habe ich nicht damit gerechnet, dass ich noch vor Abschluss der Arbeit mit der Beschuldigung, den Holocaust zu trivialisieren, außer Gefecht gesetzt werden sollte.“

Haacke, der seit Jahrzehnten in New York lebt und mit einer Jüdin verheiratet ist, hat in seiner künstlerischen Arbeit immer wieder auf die Verbrechen des Dritten Reichs verwiesen. „Sanitation“ will Parallelen zwischen der „Entartete Kunst“-Rhetorik der Nazis und dem Gedankengut konservativer US-Politiker aufdecken. Die Zitate für „Sanitation“ stammen aus der letztjährigen Debatte um „Sensation“, einer Wanderausstellung junger britischer Kunst. Giuliani hatte sich damals über die etwa tennisballgroßen Elefantenköttel aufgeregt, die der aus Nigeria stammende Künstler Chris Ofili zur Darstellung einer schwarzen Mutter Gottes verwendet hatte. Ein gefundenes Fressen für den Bürgermeister von New York. Sogleich wetterte er gegen das verantwortliche Museum, drohte mit Schließung und der Streichung aller öffentlichen Mittel.

Der Angriff auf sein Werk hat für Haacke vor allem politische Motive. Schließlich kandidiert Giuliani dieses Jahr für den New Yorker Senatorenposten: „Ich habe dafür keine Belege, aber ich schätze, dass die Beschuldigung wahrscheinlich als Ablenkungsmanöver von Giulianis Wahlkampfteam ausgeheckt wurde.“ Trotzdem ist es erstaunlich, dass die Vorwürfe auf einen bisher stets für seine antifaschistischen Werke bekannten Künstler abzielen. Besonders gravierend ist nach Haackes Meinung allerdings auch die Masse an Gerichtsverfahren, die Giuliani als nachweislicher Verfassungsbrecher im Zusammenhang mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung verloren hat. Sie dürften die Steuerzahler wohl weit mehr Geld kosten, als der Bürgermeister mit seinen drastischen Kürzungen bei der Kunstförderung einsparen wollte.

Um das Fortbleiben öffentlicher Gelder braucht das Whitney Museum indes nicht bangen. Laut Presseerklärung erhält es von Giuliani nicht mehr als 6.000 Dollar im Jahr – nicht einmal Peanuts bei einem jährlichen Budget von 20 Millionen Dollar, das vornehmlich von Sponsoren aus der Wirtschaft und privaten Spendern kommt. Sehr zum Schrecken des Hauses hat nun auch Mary Lou Whitney, Schwiegertochter der Museumsgründerin, jegliche finanzielle Unterstützung zurückgezogen. Mit der Begründung, dass sich ihre verstorbene Vorfahrin angesichts Haackes „Sanitation“ im Grabe herumdrehen würde.

Maxwell L. Anderson, der Direktor des Whitney, versucht jetzt vor allem, den Schaden möglichst gering zu halten. Zwar stellt er sich hinter den Künstler, vollführt aber in seiner offiziellen Erklärung, die auf der Museums-Homepage nachzulesen ist, einen politisch korrekten Eiertanz. Allen Ernstes bedauert er den Schmerz, den Haackes „Sanitation“ auf Grund der Verwendung von Frakturschrift vielen bereitet haben mag. Überhaupt sei das Board of Trustees, die Geldgeber des Whitney, bis zwei Wochen vor der Eröffnung mit „Sanitation“ gar nicht vertraut gewesen. Und: Trotz der unbestreitbaren Verdienste des Künstlers sei dessen in „Sanitation“ angestrengte Parallele zwischen Nazi-Exzessen und der gegenwärtig in Amerika grassierenden kulturellen Intoleranz zutiefst irritierend.

Das sich das Whitney unter Anderson nicht voll hinter Haacke stellt, sagt etwas über den Niedergang der Institution aus: Im September 1998 aus dem kanadischen Toronto importiert, steht nun ein Spezialist für die griechisch-römische Antike dem Museum für zeitgenössische amerikanische Kunst vor. Innerhalb der ersten drei Monate seiner Amtszeit suchten allein fünf Kuratoren das Weite. Zum ersten Mal in der fast 70-jährigen Geschichte musste Anderson bei der Organisation der Whitney Biennial 2000 auf sechs auswärtige Experten zurückgreifen. Die Dinge lagen derart im Argen, dass man den Aufruhr um Haackes Werk schon fast für einen geschickt lancierten Werbefeldzug halten konnte, der von den Personalquerelen ablenken und das Whitney als vormals provozierende Institution wieder auferstehen lassen sollte.

Als Museum für zeitgenössische Kunst wird dem Whitney inzwischen von anderen Instituionen der Rang abgelaufen. Einen Monat vor der Biennale 2000 eröffnete das kürzlich mit dem Museum of Modern Art fusionierte P.S.1 seine Ausstellung „Greater New York“. In dem vormaligen Schulgebäude in Long Island City stellen etwa 140 junge Künstler in sehr viel entspannterer Atmosphäre ihre Arbeiten aus.

Tatsächlich gibt es Überschneidungen in den Teilnehmerlisten von Whitney und P.S.1 bei wichtigen Namen wie Lisa Yuskavage oder Shirin Neshat. Außerdem zeigen beide Ausstellungen, dass vor allem die nicht in Amerika geborenen Künstler dominieren. Daraus ergibt sich ein Kunstverständnis, das die institutionelle Einengung des Kunstbegriffs mit einer Fülle von kulturellen Vermischungen kontert. Im bunten Nebeneinander der Kunstwerke werden denn auch die leise tretenden Soldatenstiefel aus Haackes Beitrag durch die knallenden Türen einer Videoinstallation von Dara Friedman übertönt, die offenbar von aufgebrachten Frauen wütend zugeschlagen werden.

Gegen die von den Medien zuvor so lautstark inszenierte Hysterie nimmt sich die Whitney Biennial samt „Sanitation“ nun vergleichsweise still und bescheiden aus. Erst letzte Woche berichtete die alternative Stadtzeitung Village Voice, dass wiederum Haacke 1998 beim Erwerb einer Etagenwohnung weniger als ein Zehntel des tatsächlichen Wertes berappen musste. Und dies nur dank der Grundbesitzpolitik des von ihm attackierten Giuliani. So oder so. Das brave Whitney kann sich nun wegen des Skandals über reichlich Andrang freuen. Mit Kunst hat das alles nur wenig zu tun. Für das Whitney ist es vielleicht besser so.

Whitney Biennial 2000, bis 4. Juni, New York. Weitere Informationen unter www.whitney.org