Parteien sind keine Tanker

Die CDU-Parteispendenaffäre und ihre Folgen: Parteien sind komplexe Großorganisationen.Dies wird von den meisten Reformvorschlägen übersehen. Einfache Lösungen gibt es nicht
von JOSEF SCHMID

Wieder einmal – so scheint es – sind die Parteien am Ende, ist die Republik in der Krise. Nicht verbuchte Millionen neben den offiziellen Haushalten der CDU, Helmut Kohls Verstoß gegen das Parteienrecht und die verkündete Strafe haben die politischen Fantasien beflügelt und Vorschläge en masse hervorgebracht. Krise und Reform der Parteien bedingen sich wechselseitig – zumindest in den Medien.

Freilich gilt auch hier: Gut gemeint ist nicht immer gut – sowohl in der Analyse als auch in der Beratung. Denn zwei Dinge sind vorab zu bedenken, bevor man zur rettenden Tat schreitet: Zum einen ist die Realität der Parteien zu berücksichtigen. Sie sind komplexe politische Großorganisationen mit einer ebenso komplexen Dynamik. Zum anderen muss die Frage nach den Wirkungen der angeregten Maßnahmen gestellt werden. Zu beiden Aspekten liegen einige Erkenntnisse aus der Politikwissenschaft vor, die zumindest schräg zu den aktuellen Diskussionen liegen.

Beginnen wir mit dem ersten Punkt: Parteien sind keine Tanker! Diese verbreitete Metapher verstellt mehr, als sie erhellt. Viel eher ähneln Parteien großen Flottenverbänden aus sehr unterschiedlichen Schiffen, deren Besatzungen schlecht qualifiziert sind und teilweise eher an Meuterei denn an Gefolgschaftstreue denken. Mehr als die Flagge haben sie manchmal nicht gemeinsam. Man kann es auch parteiensoziologisch formulieren: Parteien sind Stratarchien, ausdifferenzierte Organisationen, die stärker zur Anarchie als zur Hierarchie neigen. In ihnen tobt das Leben, ist Führung eine knappe Ressource. Dies erklärt das Aussitzen von Entscheidungen und auch die kleinen Gaben aus der schwarzen Kasse, um Seilschaften in der Union aufzubauen und zu stabilisieren.

Der „Bimbes“ ist somit funktional – gerade in einem System Kohl, das die Volkspartei und den Parteienstaat auf die Spitze treibt. Ebendiese Funktionalität bricht sich mit der Legalität, und alle Reformvorschläge tun gut daran, die real existierenden Parteien als Basis zu nehmen und nicht den Mythen der organisatorischen Simplizität aufzusitzen. Es gibt eben keine Diktatur des Parteichefs. Seit Robert Michels und seinem Klassiker der 20er-Jahre hat sich die Welt der Parteien gründlich geändert. Das eherne Gesetz der Oligarchie gilt nicht mehr. Dies muss das Recht berücksichtigen. Wenn es sich nicht durch Problemangemessenheit auszeichnet und zudem nicht mit entsprechender Durchsetzungsmacht ausgestattet ist, verkommen Gesetze zum bloßen Appell.

Stellt man solche Überlegungen an, dann verlieren viele schöne und einfache Reformvorschläge an Plausibilität. Grob sortiert, lassen sich in der Diskussion drei Schwerpunkte der Diagnose und Therapie identifizieren: erstens, der Finanzskandal der CDU rüttele an den Grundfesten des Parteienstaates; hier werden verfassungspolitische Maßnahmen gefordert. Zweitens, das Problem betreffe das Parteienrecht; hier seien dann entsprechende Korrekturen im Gesetz nötig; drittens, das Bimbes-Syndrom sei ein parteiinternes Phänomen, das durch strukturelle und personelle Erneuerungen der CDU bewältigt werden müsse.

Nimmt man etwa den verbreiteten und weit reichenden Vorschlag der Einführung plebiszitärer Elemente in das Grundgesetz, so geht es um die Aktivierung des Volkes (von Arnim) gegen die politische Klasse. Doch Plebiszite schlagen einerseits schnell um in eine wohlfeile Politikerschelte; andererseits tendieren sie zur Passivierung der Politik und zur Reduktion der Sozialausgaben. Letzteres zeigt eine Reihe international vergleichender Studien. Gerade die Schweiz liefert gute Beispiele für die Ambivalenzen der direkten Demokratie; vieles, was im System der Allparteienregierung und der starken Verbändebeteiligung an der Politik nicht zu regeln ist, wird aufs Plebiszit externalisiert und so meist auf die lange Bank geschoben. Darüber hinaus gehören Rollenhäufung, Elitenverflechtung und räumliche Überschaubarkeit zu den wesentlichen Elementen des Modells Schweiz. Schließlich hört man gelegentlich herrschaftskritische Stimmen, die hinter all dem nur das Wirken der Gnome von Zürich sehen. Demokratie ist eben keine perfekte Regierungsform, und man sollte die Suche danach aufgeben.

Nicht weniger problematisch sind viele Vorschläge zur Reform des Parteienrechts. Verbot von Firmenspenden und Herabsetzung der Grenzwerte der Veröffentlichung werden genannt. Doch wie soll das kontrolliert werden? Spenden dann nicht die Geschäftsführer als Personen und bei Bedarf verteilt auf ihre ganze Familie? Auf diese Weise ist der nächste Parteienskandal vorprogrammiert! Eine andere Idee: ewige Amtsinhaber qua Gesetz zu verhindern. Ist das nicht zu sehr auf Helmut Kohl zugeschnitten? Man sollte nicht vor lauter Aufregung das Prinzip der Aufklärung opfern, dass Gesetze dem Prinzip der Allgemeinheit entsprechen müssen und nicht den aktuellen Besonderheiten.

Auf der Ebene der Partei ist inzwischen der Schritt von der Skandalisierung zur Personalisierung vollzogen worden. Entsprechend werden an die inzwischen gekürte Kandidatin für den Parteivorsitz enorme Heilserwartungen geknüpft, was vielleicht von christlichem Vertrauen in die Person zeugt, aber in politischen Großorganisationen kaum angebracht ist, weil strukturell meist alles so weiterläuft wie bisher. Und fördert dies – verstärkt durch Elemente der Urwahl – nicht gerade den gescholtenen Trend zur Amerikanisierung der Partei? Der Kampf um den Vorsitz als Vorwahl? Auch die Idee, ein starkes Controlling einzuführen, impliziert eine Zentralisierung und gerät sowohl mit dem Gebot der innerparteilichen Demokratie als auch dem faktischen Föderalismus in Konflikt. Jede Kontrolle über Geld ist inhaltliche Einflussnahme und bedeutet damit politische Macht. Parteien sind eben keine Unternehmen. Sie verkaufen keine Waren, sondern tragen zur Willensbildung bei und müssen autonome Räume lassen, die durch zentrales Controlling eingeschränkt würden. Dies verbietet die einfache Übertragung von Steuerungsmechanismen aus der freien Wirtschaft.

Was nun? Offensichtlich ist es nicht einfach mit den guten Rezepten. Ein Vorschlag: Wenn man eine überhöhte Machtkonzentration an der Parteispitze therapieren will, bietet es sich an, die öffentlichen Mittel direkt an die lokalen und regionalen Gliederungen zu verteilen und diese rechenschaftspflichtig zu machen. Das erzeugt politische Gegengewichte und ordnet Verantwortlichkeit klar zu – allerdings um den Preis verringerter zentraler Führungsfähigkeit. Erheblich schwieriger würde es jedoch, wenn wir es mit einem Paradox zu tun hätten: wenn die Malaise durch die Komplexität der Parteiorganisation und der modernen Politik entstanden wäre und nun durch weitere komplexe Steuerungsprozesse behoben werden müsste. Aber wer wird schon den Teufel an die Wand malen?

Hinweise:

Parteien neigen stärker zur Anarchie als zur Hierarchie

Die Demokratie ist eben keine perfekte Regierungsform

Jede Kontrolle über Geld bedeutet politische Macht