Liebesakt beflügelt Schaffenskraft

■ Hochgestecktes Ziel, mittelmäßige Ausführung: Holger Müller-Brandes inszeniert im Altonaer Theater die Uraufführung des Musicals „Ikarus“ von Oliver Probst

Wer sich mit Mythen einlässt, versucht den Tanz auf dem Seil. Denn so sehr das allegorische Potenzial dieser Stoffe lockt, so groß ist die Gefahr, dass die Neuerzählung in den Abgrund des Profanen stürzt. Musicalschreiber Oliver Probst wählte als Vorlage für sein neues Werk Ikarus die antike Sage von Dädalus und Ikarus und verpflanzte die Metaphern dieses Mythos in ein Künstlerdrama von heute. Ein ambitioniertes Vorhaben, das bei seiner Uraufführung im Altonaer Theater zwiespältige Gefühle weckte.

Ikarus ist in Probsts Version Komponist und heißt Laurent Fouconnier (intensiv: Burkhard Schulz). Gerade schreibt er mit mäßiger Inspiration an seiner Oper „Dädalus“. Den Kompositionsauftrag hierfür hat ihm sein Vater Bernard (Dieter Kaiser) verschafft, ein renommierter und einflussreicher Architekt. Dieser Dädalus-Dad hat allerdings einigen Dreck am Stecken. Als Racheengel tritt Angèle (Kira Primke) auf den Plan. Sie will Sühne für den Tod ihres Bruders: Er war einst Assistent des Architekten und erwies sich als zu talentiert, so dass Papa Bernard ihn vor lauter Neid aus dem Fenster stürzte.

Doch das erfahren wir erst später. Jetzt hat Angèle erst mal die Aufgaben einer Muse zu erfüllen, schließlich beflügelt der Liebesakt die Schaffenskraft eines Künstlers. So will es das Klischee. Und so erzählen es auch Probst und sein folgsamer Regisseur Holger Müller-Brandes, indem nur die Andeutung von sexueller Aktivität genügt, um aus dem Off neue Passagen aus Fouconniers Dädalus-Oper ertönen zu lassen. Diese musikalische Ebene verbindet den Urstoff mit der Neuerzählung und kommentiert diese zugleich. Es sind Klänge von expressiv-archaischer Faktur, in ihren besten Momenten an Carl Orff gemahnend.

So sehr Angèle dazu beiträgt, dass Laurent die Höhen des Ruhms erklimmen kann, so tief ist der Fall des Komponisten. Denn Angèle ist tot, und er wird verdächtigt, sie ermordet zu haben. Dass der Vater seine Finger im Spiel hat, ist offensichtlich. Selbst als der Sohn die Wahrheit erfährt – entgehen kann er dem Wahnsinn nicht. Die Ikarus-Flügel warten, der Rest bleibt Metapher.

Abgesehen von einigen Gemeinplätzen ist Probsts Variante des Mythos in sich durchaus stimmig. Musikalisch hingegen zerfasert das Werk elendig: Neben den Work-in-progress-Schnipseln aus der „Dädalus“-Oper steht typische Musicalmusik, und ein unsäglich enervierender Klangteppich soll Atmosphäre schaffen und gar Einblick in Befindlichkeiten der Figuren geben. Jedoch bewirkt die Dauerberieselung mit diesen Synthesizerklängen vor allem eins: dass man nicht mehr hinhört.

Dagmar Penzlin

weitere Aufführungen: 29., 31. März, 1. April, 20 Uhr, 2. April, 19 Uhr, Altonaer Theater