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„Innerlichkeit is garbage“

Eine Diskussionsrunde mit Richard Sennett und Sasha Waltz an der Schaubühne

Unter dem Titel „The Body of Future, the Future of Dance“ lud die Schaubühne am Sonntag zum zweiten Streitgespräch. Zur Diskussion erwartet waren der New Yorker Soziologe Richard Sennett, der in Frankfurt arbeitende Choreograf William Forsythe sowie die Choreografin der Schaubühne, Sasha Waltz. Forsythe, über lange Zeit die einzige innovative Kraft am deutschen Ballett, konnte wegen Krankheit leider nicht erscheinen (neuer Termin: 14. Mai).

Stattdessen überraschte der momentan dem „Cities Programme“ der London School of Economics and Political Science vorsitzende Sennett mit der Eröffnung, er werde seinen Vortrag „The Sense of Touch“ nicht als Soziologe, sondern als Musiker halten. „Ich tue das“, so der 57-Jährige, „weil ich mal ein anderes Leben als Cellist hatte.“

Ausgehend von einer differenzierten Schilderung der Schwierigkeiten der Erzeugung eines gelungenen Vibratos am Cello, entwickelte Sennett in den folgenden 90 Minuten die These, dass Ausdruck, ob künstlerischer, kultureller oder politischer, allein durch Reibung am Widerstand der materiellen Realität, durch Kontakt mit der (Außen-) Welt entsteht und nicht durch Transzendenz von Innerlichkeit. Die romantische Idee des allein aus sich selbst schöpfenden Künstlers reiche zwar in unsere Zeit, aber: „Innerlichkeit is garbage.“

Die „Dialektik des Widerstands“ – die Tatsache, dass der Musiker nicht dann am besten ist, wenn er sein Spiel mit einer idealen Melodie abgleicht, sondern wenn er sich in technisch schwierigen Momenten ganz auf das Holz konzentriert – bestätige, dass die Energie des Künstlers vom Selbst in das Objekt verlegt werden müsse. „Die wirkliche Ringen in der Kunst geht nicht darum, eine innere Vision hervorzurufen, sondern ohne eine zu arbeiten.“

Das Projekt der modernen Welt aber ist es, Widerstände auszuräumen, von der Begradigung des Verkehrsflusses bis zur leichten Handhabung von Computern. Doch was sich „benutzerfreundlich“ nennt, führt letztlich zum wörtlich zu verstehenden loss of touch (Verlust der Berührung) mit der Wirklichkeit; ein Problem, das Sennett schon an anderer Stelle als „Kondomisierung der Welt“ beschrieben hat. Gefördert würden so eine Ästhetik des Verlangens (das durch Abwesenheit definiert ist) und „privatisierte Subjektivität“, die Engagement in der Öffentlichkeit verhindern. Unsere Kultur stellt die Vorstellung über die Berührung, mithin das Eingreifen. Das größte Problem des modernen Kapitalismus, so Sennett, sei, dass er passives Verhalten produziere. Nun heißt es von der Kunst lernen: Material, Ausdruck, Prozess und Bedeutung dürfen nicht mehr auseinander dividiert werden. „Das ist meine Auffassung: Die Antworten auf die sozialen Fragen kommen von der Kunst, nicht der Politik.“

Das anschließende Gespräch zwischem dem Soziologen und Sasha Waltz zu verfolgen war eine pure Freude; offensichtlich waren beide am Anderen interessiert und von ihm inspiriert. Auch sie habe erst durch Reibung an Gegenständen ihren Ausdruck gefunden, so Waltz: In ihrem ersten Studio war es ein Kühlschrank, in ihrer jüngsten Produktion, „Körper“, das Gebäude an sich, das ihr produktiven Widerstand entgegensetzte.

Auch der Diskreditierung von Vision als Motor von Kreation pflichtete sie bei: „Wir probieren nichts umzusetzen, was wir uns vorher ausgedacht haben, sondern agieren stets von Körper zu Körper.“ Beider vereintes Plädoyer zum „Just do it“ stieß im Publikum auf regen Widerstand, doch leider ließ Moderator Matthias Geffrath eine lebendige Auseinandersetzung an dieser Stelle nicht zu. CHRISTIANE KÜHL

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