: Renaissance biblischer Werte
Die katholische Kirche trifft eine historische Entscheidung und geht an die Börse
Die Vorbereitungen der Kurie im Vatikan für den Börsengang der katholischen Kirche werden konsequent vorangetrieben. Die Aktie der Roemcath AG – so heißt das neue Unternehmen – wird als Technologiewert am Neuen Markt Nemax notiert werden. Die katholische Kirche bringt nicht etwa ihren Grundbesitz und ihr Firmenimperium in die neue Aktiengesellschaft ein, sondern ausschließlich ihre spirituellen Schlüsseltechnologien. „Sie ist zwar ein Unternehmen geradezu biblischen Alters mit Jahrtausende alter Tradition“, sagt Paul Engel von der Deutschen Apotheker- & Ärztebank, „aber die direkt produzierten Werte liegen eindeutig im virtuellen Bereich.“
Die Business-to-Business-Fantasie beflügelt die Aktie
Die vorbörslichen Kurse haben im Telefonhandel noch einmal kräftig angezogen, so dass die Book-Building-Spanne von 33 bis 38 Euro pro Aktie weit übertroffen wird. Wegen überhöhter Nachfrage musste das Orderbuch geschlossen werden. Experten sagen, dass die Ambitionen des Unternehmens im Geschäftsfeld Heilsversprechen und Sündenvergebung und die damit verbundene Business-to-Business-Fantasie für die Aktie spreche. Zudem sorgen die zu erwartenden Erlöse aus dem Börsengang für Akquisitionsfantasie.
Vor diesem Hintergrund müssen auch zwei historische Zugeständnisse völlig neu bewertet werden, mit denen die katholische Kirche in der jüngsten Vergangenheit beträchtliches Aufsehen erregte. Da war zum einen die mit dem Lutherischen Weltbund gemeinsam verfasste Erklärung zur Rechtfertigungslehre, mit der ein 500 Jahre alter Streit beigelegt wurde. Wie bekannt, einigten sich beide Seiten darauf, dass der Mensch allein auf Grund seines Glaubens und der Gnade Gottes erlöst werde und gute Taten nicht Bedingung, sondern Früchte der Erlösung seien. Dieses Zugeständnis der katholischen Kirche, sagen einige Marktbeobachter, dürfte ein strategischer Schachzug gewesen sein, um die lutherischen Kirchen in Sicherheit zu wiegen, später jedoch mit dem Emissionserlös die aggressive Übernahme zu realisieren.
Ob nun Fusion, Merger, feindliche Übernahme oder doch eher ein extern finanziertes Management Buy-out: Mit einer Verschmelzung würde die dadurch entstehende Großkirche die Marktführerschaft bei den Ewigkeitswerten übernehmen, denn zu den gut 950 Millionen Katholiken weltweit kämen etwa 470 Millionen Lutheraner. Der Islam mit seinen etwas mehr als eine Milliarde Mitgliedern fiele in der Statistik auf den zweiten Rang zurück. „Und der Hinduismus“, gibt ein technisch orientierter Analyst der Prudential Securities, New York, zu bedenken, „mit seinen 700 Millionen Anhängern ist ebenfalls ein Übernahmekandidat, aber auch ein Unternehmen, das einen Konkurrenten übernehmen könnte. Das schafft Raum für Fantasien.“
Die neue Großkirche übernimmt die Marktführerschaft
Die zweite Maßnahme der katholischen Kirche im Vorfeld der RoemcathEmission war die Mea-culpa-Erklärung des Papstes Mitte März. Mit diesem Befreiungsschlag, so deuten selbst Skeptiker die Stimmungsindikatoren, habe die katholische Kirche verdeutlicht, dass sie ihr Kerngeschäft ausbauen und neue Geschäftsfelder entwickeln wolle. Während weder in Deutschland noch in Europa alle potenziellen Wettbewerber in einem deutlich deregulierten Umfeld am Markt seien, habe Rom seine Ambitionen überzeugend dargestellt. Ihr Business Case sei klar umrissen. Die Fusion von Deutscher Bank und Dresdner Bank, so geben Fachleute hinter vorgehaltener Hand zu, nehme sich gegen die Performance von Roemcath geradezu lächerlich aus. Damit ist die Renaissance klassischer Werte am globalen Aktienmarkt unwiderruflich angebrochen.
DIETRICH ZUR NEDDEN
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