Daisy chain ohne Depression

■ rthur Schnitzlers Reigen auf Boulevardstück getrimmt: Peter Löscher inszeniert die deutsche Erstaufführung von David Hares The Blue Room in den Kammerspielen

Sam Mendes hatte die Idee. Der Regisseur des Oscar-überhäuften Films American Beauty war fasziniert von der Form von Arthur Schnitzlers Reigen, zweifelte jedoch an seiner Aktualität und haderte mit dem letztendlich depressiven Charakter des Stücks: fünf Frauen und fünf Männer mechanisch verkettet in einer daisy chain, zehn Geschlechtsakte als verzweifelte Suche nach Liebe und Glück, zehn heiß-kalte, desillusionierende Dialoge, gestrickt aus Begehren, Lügen und Flüchtigkeit. So beauftragte Mendes den Regisseur und Autor David Hare, versierter in Sachen Film (Wetherby, Paris by Night, Strapless, Drehbuch zu Louis Malles Damage) als in Sachen Theater, mit einer Adaption.

Unter dem Namen The Blue Room kam das Schnitzler-Remake im September 1998 im Londoner Donmar Warehouse zur Uraufführung, und dabei standen freilich weder Mendes noch Hare im Mittelpunkt des Interesses, sondern vielmehr Nicole Kidman, die an der Seite von Iain Glen sämtliche Frauenrollen spielte. Zum Vorteil des Stücks (und der Inszenierung), das, vom Ruhm der Cruise-Gattin mitgezogen, von der britischen Tagespresse kräftig gelobt wurde. Einzig der Independent on Sunday erklärte das Projekt für verfehlt. Zu Recht.

Die extreme Kühnheit des 1896/1897 entstandenen Reigens lag seinerzeit in dessen vollkommen undramatischer Struktur einerseits und der kompromisslosen Absage an die romantische (und tragische) Liebe als theatralen Motor andererseits. So blieb das Stück bis 1903 ungedruckt und bis 1920 unaufgeführt. Nach Verboten, Verbotsübertretungen, Missverständnissen und Tumulten, die sich auch gegen Schnitzler als Juden richteten, untersagte der Autor 1922 alle weiteren Aufführungen. Erst seit 1982 ist der Reigen wieder frei spielbar.

In einer Neufassung eine Adäquanz für diese beispiellose Stückgeschichte zu finden und die Radikalität der Vorlage zu reflektieren, ist natürlich heutzutage kaum möglich. David Hare geht deswegen gleich in die ganz andere Richtung: Er bleibt in der Form hautnah am Original, übernimmt einige Passagen fast wörtlich, viele sinngemäß, feilt ausgiebig an den psychologischen Profilen der Charaktere (die Schnitzler wenig interessiert hatten) und siedelt das Ganze in der Gegenwart New Yorks an (die komischerweise immer noch einen „Aristokraten“ verträgt). Das Ergebnis ist durchaus perfide zu nennen: Es gaukelt Schnitzler-Nähe vor, lebt indessen nur von den vordergründigen Effekten des Reigens, die für den Boulevardgebrauch trefflich aufpoliert werden.

Wenn Regisseur Peter Löscher The Blue Room nun in den Kammerspielen zur deutschen Erstaufführung bringt, wird man sehr genau darauf achten müssen, wie kritisch oder unkritisch er mit Effekten wuchert. Zum Beispiel dem des schnellen Umziehens, denn wie in London begnügt sich die Inszenierung mit zwei Darstellern: Natalia Wörner spielt das Mädchen, das Au-pair-Mädchen, die verheiratete Frau, das Modell und die Schauspielerin, Herbert Knaup den Taxifahrer, den Studenten, den Politiker, den Dramatiker und den Aris-tokraten. Ralf Poerschke

Premiere: Mi, 5. April, 20 Uhr, Kammerspiele