Li-La-Lyrik in der Leitung

Unverlangt eingesandte Gedichte sind der Traum jedes Zeitungsredakteurs. Ein Kampfbericht zwischen reisendem Poeten und Reim-Weiterverarbeitungsstelle

Ein Anruf kurz vor Produktionsschluss in der Redaktion.

Redakteur: „Ja.“

Anrufer: „Erdmann hier.“

„Ja, und?“

„Ich hatte Ihnen da kürzlich was zugeschickt.“

„Ja, und?“

„Ein Gedicht.“

„Ja, und?“

„Ich wollte mal fragen ...“

„Im Moment ...“

„... ob Sie schon dazu gekommen sind, es zu lesen?“

Die Hand des Redakteurs ertastet den Karton mit den „Unverlangt eingesandten Gedichten“:

„Gedichte, sagen Sie ...“

„Ich hatte was geschrieben.“

Der Redakteur wühlt verzweifelt in der Gedichtekiste:

„Ich kann mich nicht erinnern.“

„Ich hatte Ihnen da eine Auswahl politisch-satirischer, aber auch unterhaltsamer Gedichte geschickt. Ich bin doch da bei der Unterhaltungsseite?“

„Ja ... äh, nein.“

„Sie drucken doch Gedichte?“

„Nein.“

„Sie drucken KEINE Gedichte?“

„Doch, schon.“

„Na, also!“

„Aber nur selten.“

„Dann können Sie doch meine Gedichte drucken. Oder gibt es da ein politisches Problem?“

„Nein, nein.“

Der Redakteur zieht einen Stoß Papiere aus dem Karton.

„Ich denke da zum Beispiel an mein Antikriegsgedicht: Die Bundeswehr im Kosovo / froh wie der Mops im Paletot ...“

„Ja, nun.“

„... Mörder sind Soldaten / Und werfen Handgranaten.“

„Das ist jetzt selbstverständlich ein bisschen spät.“

„Das kann ich Ihnen im Handumdrehen aktualisieren. Gar kein Problem!“

Der Redakteur legt die Papiere wieder in die Gedichtekiste:

„Es ist jetzt leider kurz vor Produktionsschluss.“

„Aber finden Sie nicht, dass es wichtig ist?“

„Nun, ja.“

„Ich glaube, es wäre gerade wichtig für IHRE Zeitung.“

„Ja, schon.“

„Oder ist Ihnen das zu scharf? Ich habe dem Krieg mit spitzer Feder einen Spiegel vorgehalten.“

Der Redakteur schiebt die Gedichtekiste zur Seite:

„Herr Erdmann, das ist Ihnen sicher auch gelungen.“

„Es gefällt Ihnen also?“

„Mmh.“

„Dann wird es also gedruckt?“

„Ich kann das leider jetzt nicht entscheiden. Es ist kurz vor Redaktionsschluss.“

„Ich finde es aber sehr gut.“

„Das freut mich.“

„Ich habe es gern gelesen.“

Der Redakteur klappt den Kistendeckel zu:

„Jetzt muss ich aber wirklich Schluss machen.“

„Und was ja sonst so in Ihrer Zeitung gedruckt wird...“

„Ach, ja?“

„Wissen Sie, eine kleine Auswahl meiner Gedichte ist ja auch schon in einem Bielefelder Stadtmagazin erschienen.“

„Ja?“

„Im Herbst werden sie dann in Buchform herauskommen ...“

„Ja, und?“

„... der Verlagschef und ich finden, dass sie vorher einem überregionalen Publikum bekannt gemacht werden sollten.“

„Unbedingt!“

„Schön, dass wir endlich ins Geschäft kommen.“

„Ääh ...“

„Und ich hätte da gerade im Moment auch noch ein top-aktuelles Gedicht zur Hand.“

„Ja, dann faxen oder mailen Sie mir das doch zu.“

„Das ist jetzt schlecht.“

„Wieso?“

„Weil ich im Moment mit dem Motorrad unterwegs bin.“

„Oh.“

„Ich dachte, ich könnte Ihnen das jetzt vorlesen.“

„Das ist jetzt schlecht.“

„Dann geht es schneller und könnte morgen im Blatt sein.“

„Schicken Sie es einfach her.“

„Ja, dann versuche ich das mal an der Tankstelle.“

„Tun Sie das.“

„Also, dann bis später.“

Aufgezeichnet von:

HEIKE RUNGE / MICHAEL RINGEL