Die Schattennationalen

Horst Hrubesch ist Teamchef der A2-Nationalmannschaft, ein Posten ohne Neidfaktor, denn die meisten Kicker sagen ab, und jene, die spielen, spielen, sagen wir mal, halt irgendwie
aus Offenbach
KLAUS TEICHMANN

Große Strategen hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) aufgeboten, um den darnieder liegenden nationalen Fußball wieder zu altem Ruhm zu verhelfen. Horst Hrubesch zum Beispiel. Das einstige Kopfball-Ungeheuer hat einst beim Hamburger Sportverein nach Bananenflanke von Manni Kalz viele Spiele mit dem Kopf entschieden und, so sagt er heute, wissend worauf es ankommt: „Ein Spiel wird im Kopf entschieden.“

Seine A2-Nationalmannschaft, die zweite Garde der Ballbeweger im Lande also, soll nun in der Phase größter Verzweiflung wertvolle Aufbauarbeit leisten. Von der Sinnhaftigkeit dieses Unterfangens ist bis dato allerdings nur Horst Hrubesch selbst überzeugt. Am Dienstag fragten sich die zur Beobachtung des Spiels Genötigten in Offenbach erst einmal, ob sie den Spieltermin richtig getroffen hätten, denn nichts deutete auf ein Fußball-Länderspiel hin. Selbst auf dem Bieberer Berg, wo normalerweise die Offenbacher Kickers gegen den Abstieg aus der 2. Liga grätschen, will irgendjemand Kicks anschauen, die mit dem Etikett Deutscher Fußball-Bund versehen sind. 4.000 Zuschauer kamen.

Die enorme Kulisse erinnerte eher an einen Freibadbesuch in den Sommerferien unweit der Riesenrutsche als an ein Spiel von Deutschlands Schattennationalen. Denn mit Freikarten hatten die Onkels vom DFB einige hundert Kinder von den umliegenden Spielplätzen geködert und als kreischende Kulisse an den Ort des Geschehens verfrachtet.

Zum Spiel: Die russische Nationalmannschaft zog zweimal kurz an, erhöhte das Tempo, um einen mühelosen 2:0- und 3:1-Vorsprung herauszuschießen, ehe man auch den DFB-Kickern beim 4:4 etwas Spaß gönnte.

Der russische Trainer beantwortete noch einige Fragen, und alles hätte eigentlich ganz nett werden können – doch dann wartete Horst Hrubesch noch mit einem Versuchsaufbau der ganz besonderen Art auf: Er betonierte das DFB-Konzept in leichter Variation des folgenden Halbsatzes rhetorisch zu einem festen Fundament: „Ich sag’ da mal ...“, begann er wiederholt seine gehaltvolle Spielanalyse. Er sagte dann also mal.

Bis fast alle gegangen waren und ihm die Offiziellen das Licht ausdrehten, dozierte er über die Ausrichtung der zweiten Reihe Fußballteutoniens: „Ich sag’ da mal, das war Fußball mit Herz.“

Das mit der DFB-Auswahl, das wird wieder, man muss einfach irgendwie weitermachen wie bisher: „Vor zwanzig Jahren, sag’ ich immer, haben wir auch nicht gespielt wie die Brasilianer.“ Und weiter verkündete der Blondschopf, gebürtiger Hammer: „Wir müssen spielen wie die Deutschen.“ Die deutsche A2-Nationalelf also sollte deutsch spielen, noch deutscher als sie es eh schon tat: „Ich sag’ immer zu meinen Jungs, ihr dürft alles machen, ihr dürft bloß nicht aufgeben.“

Fünfmal hat er das nun seinen Jungs von der A2 schon erzählt – gewonnen haben sie aber immer noch nicht. Viele wollen jetzt schon gar nicht mehr kommen. Hier eine kurze Liste der Verweigerer des Dienstes am Vaterland: Carsten Jancker, Andreas Neuendorf, Mustafa Dogan, Heiko Herrlich, Giuseppe Reina, Frank Baumann, Thorsten Frings, Frank Rost, Michael Hartmann – die Absagen haben Methode. Doch Horst Hrubesch will nicht aufgeben: „Absagen, dazu muss ich halt sagen, letzten Endes kann diese Geschichte nur funktionieren, wenn man ehrlich miteinander umgeht“, sagt er hoffnungsfroh.

Aha – so ist das also. Denjenigen, die dann doch noch mitmachen wollen, kann er dieses bieten: „Ich sag’ es mal so: Die Jungs haben hier die Chance, international zu gucken, wo sie stehen, und Nationalmannschaft zu spielen.“ Wer spielt, muss bei Horst Hrubesch dann natürlich schon was zeigen – das ist Ehrensache: „Ich sag’ mal, wenn einer den Adler auf der Brust trägt, dann muss er Gas geben.“

Alles darf er dann machen, auch mal Fehler. Gegen das russische Team ließ Hrubesch so etwas Ähnliches wie eine Dreierkette probieren, denn „wenn ich sag’, jeder läuft seinem Mann hinterher, dann spielen wir doch keinen Fußball mehr“.

Sein Team war hoffnungslos überfordert, die Stellungsfehler waren ebenso offensichtlich wie haarsträubend. Der schnelle Sergej Semak stand gleich mehrere Male alleine vor Torhüter Hans-Jörg But und traf nur zum 1:0. Hrubesch: „Ich sag’ mal, in der ersten Halbzeit haben wir einen super Torwart gehabt“, leistete er eine profunde Fehleranalyse.

Schließlich griff der Trainer wieder in die bewährte Trickkiste aus der Otto-Fleck-Schneiße, wo der DFB residiert. Er beschor die guten alten Zeiten und gab die Devise aus: durchhalten. „Warum hänge ich mich so rein in diese Geschichte?“, fragte er sich und alle, „ich sag’ es mal so, weil es bei mir auch so war: Ich hab’ in meinen ersten Spielen auch keine Tore gemacht; ich hab’ meine ersten Tore im Finale gemacht.“

Doch Jupp Derwall hat damals an ihm festgehalten, so die Legende, bis im Endspiel der Europameisterschaft 1980 gegen Belgien mit zwei Hrubesch-Toren doch noch alles gut wurde. Da sieht man es doch wieder – durchhalten bis zum bitteren Ende ist wichtig. Gerne erzählt Hrubesch diese Geschichte, wie es sich damals doch noch zum Guten fügte. „Ich sag’ mal, ich wäre wahrscheinlich ja nie in dieses Finale gekommen, wenn sich der Klaus Fischer nicht verletzt hätte.“

Bei so viel schönen alten Geschichten hat Horst Hrubesch dann doch glatt vergessen zu erklären, was er denn nun mit seiner A2-Mannschaft eigentlich genau will. Ach nein, stimmt nicht, einen Hinweis gab es: „Vor meinem ersten Spiel habe ich von Erich den Auftrag bekommen: Du musst mal Linksfüßer suchen.“ Auch das eine verdammt schwerer Auftrag.

Zitat:„Wir müssen spielen wie die Deutschen. Ich sag’ immer zu meinen Jungs, ihr dürft alles machen, bloß nicht aufgeben.“