Junge Dramatik und vier neue Kneipen

Wie Tom Stromberg das Schauspielhaus künstlerisch und gastronomisch umwälzen will  ■ Von Ralf Poerschke

Er hasst es, mit dem Mobiltelefon am Ohr fotografiert zu werden. Ohnehin schon schleppt er das Image des Handy-Man mit sich herum wie eine Seuche, das Klischee des rastlosen, immerfort Pläne schmiedenden Kulturmanagers. Es stimmt natürlich. Wer sonst im internationalen Theaterbetrieb ist denn so stresssüchtig, sich darauf einzulassen, als Chef des Kultur- und Ereignisprogramms der Expo 2000 kurz vor deren Eröffnung wie nebenbei seine erste Spielzeit an der größten deutschen Sprechbühne vorzubereiten. Ab 1. August ist Tom Stromberg Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Und kontert seine zahlreichen Kritiker, die ihn für standpunktlos und seine ästhetischen Präferenzen für beliebig halten, sogleich aus, indem er sein Programm mit junger Dramatik übergewichtet.

Stromberg eröffnet die Saison mit Inszenierungen seiner drei Hausregisseure. Jungstar Jan Bosse übernimmt die Uraufführung des Auftragswerks Haltestelle. Geister. von Helmut Krausser. Ingrid Lausund, Ravensburgerin und groß geworden in der freien Szene, bringt ein eigenes neues Stück auf die Bühne. Und Ute Rauwald, den Hamburgern mit zwei misslungen Arbeiten (Showdown Iphigenie in der Heinrich-Heine-Villa, killed by p. auf Kampnagel) zuletzt in eher unangenehmer Erinnerung, versucht sich an Sarah Kanes letztem Stück, Gier, das Thomas Ostermeier gerade an seiner Berliner Schaubühne deutsch erstaufführte. Ganz bewusst hat Stromberg die experimentierfreudige Rauwald auf diesen handlungslosen, schmerzvoll poetischen Vier-Stimmen-Chor angesetzt. „Eigentlich interessiert sie sich nur für Theatertexte, um darin ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Das wird ihr bei Sarah Kane nicht gelingen, und das finde ich hoch interessant“, sagt Stromberg. Volles Risiko – das scheint eine der Devisen des Kettenrauchers zu sein.

Eine weitere kalkulierte Unwägbarkeit hat der 1960 in Wilhelmhaven geborene Sohn eines Intendanten und einer Tänzerin sich mit dem von seinem Dramaturgen Andreas Beck betreuten Projekt „Authors in Residence“ ins Haus geholt. Vier Dramatiker werden während der ersten Spielzeit in Hamburg wohnen und arbeiten: die Schwedin slowakischer Herkunft Lucia Cajcha-nová, der argentinische Vielschreiber Rafael Spregelburd (14 Stücke in acht Jahren), der französische Seiteneinsteiger Lionel Spycher (Karriere als Lichtdesigner) und der Deutsche René Pollesch. Nur letzterer ist hierzulande ein Begriff, und zwar zu nicht geringem Teil im Zusammenhang mit Tom Stromberg: Zwischen 1992 und 1995 inszenierte Pollesch fünf eigene Stü-cke auf der Probebühne des Frankfurter Theaters am Turm (TAT).

Womit wir beim Thema Kontinuität wären. Denn freilich spielt Stromberg auch in Hamburg die Trümpfe, mit denen er binnen zehn Jahren TAT-Intendanz (1986-1996) seinen Ruf als führender Headhunter des interdisziplinären Theaters befestigte. So werden der Flame Jan Lauwers („Hero“) und seine Needcompany mit ihrem Lear zu Gast sein und den Sturm neuinszenieren. Pop-Regisseur-Star Stefan Pucher („nach einer schwierigen Zeit absolut wieder auf der Matte“), wird sich Die Möwe vornehmen – noch einen Tschechow also, nach seinem Kirschgarten-Geniestreich in Basel. „Dass diese Inszenierung nicht zum Theatertreffen eingeladen wurde, halte ich für einen Skandal: die beste Aufführung, die man im Moment im deutschsprachigen Theater sehen kann“, findet Stromberg. Und von Heiner Goebbels („mit niemanden habe ich so viele Produktionen gemacht“) gibt es gar eine Werkschau mit zwei älteren, einer neueren und einer ganz neuen Arbeit. Stromberg: „Ich bedauere, dass Heiner als Regisseur in Deutschland immer noch nicht den Stellenwert hat wie in England oder Frankreich.“

Aber Crossover um jeden Preis ist längst nicht mehr seine Sache. Dass viele junge Theatermacher offensichtlich glaubten, mit ein paar Videomonitoren, Mikros, einem DJ-Pult und hipper Musik bereits eine neue Kunstform bedienen zu können, geht Stromberg „inzwischen auf den Senkel“. „Jetzt geht es darum, die Dinge einzeln zu betrachten und sie in einen Kontext zu stellen“, sagt er. Und: „Die Dichtung spielt als einzelne Form eine wichtige Rolle.“ Back to the roots, zur Sprache also und auch zurück in die Theatergeschichte. So nimmt es nicht Wunder, dass Stromberg die Hamlet-Inszenierung von Peter Zadek („von den Gurus war er mir stets der liebste“), die kürzlich schon am Schauspielhaus gastierte, en suite übernimmt. In der zweiten Spielzeit wird der Altmeister – auf eigene Initiative hin – Christopher Marlowes Juden von Malta inszenieren.

Dass Stromberg inhaltlich der künftigen Kampnagel-Chefin Gordana Vnuk ins Gehege kommen könnte, befürchtet er kaum. „Ich habe nach zwei Geprächen mit ihr das Gefühl, dass sie Kampnagel ganz anders ausrichten wird.“ Mit einem dezidiert politischen Blick, der sich vor allem nach Osten richtet und über die Grenzen von Europa hinaus. So ist es durchaus denkbar, dass der Hamburger Regie-nachwuchs in Zukunft eher am Schauspielhaus sein Forum findet denn auf Kampnagel. „Eine Diplominszenierung im Malersaal? Darüber muss man reden.“

Mit Ulrich Khoun, Jürgen Flimms Nachfolger am Thalia Theater, ist Stromberg dagegen schon einmal kurz aneinander geraten. Es ging um eine Frau – um seine, die Schauspielerin Wiebke Puls. „Sie hatte mit Khoun bereits eine Verabredung getroffen, aber es gab noch keinen Vertrag. Dann haben wir uns sehr gut kennengelernt und überlegt, was schlimmer ist: wenn sie bei der Konkurrenz ist oder die Frau des Intendanten.“ Jetzt ist die Stromberg-Gattin eines von vielen neuen Gesichtern im Schauspielhaus-Ensemble, dessen Zahl allerdings von 37 auf 30 schrumpft. Mit Ilse Ritter, Catrin Striebeck, Marlen Diekhoff und Matthias Fuchs wird es beispielsweise ein Wiedersehen geben. Neu im Team sind unter anderem Ale-xander Simon, Wolfram Koch, Ursula Doll und Oliver Bokern – ein Riesentalent, das in Produktionen von Ute Rauwald und Sandra Strunz schon mächtig Eindruck schinden konnte.

Auch das Gesicht des Gebäudes wird sich bis zum Herbst stark verändert haben. „Wir eröffnen quasi vier neue Kneipen“, sagt Stromberg und erläutert sein gastronomisches Konzept anhand von bunten Zeichnungen. Im Foyer werden zwei Theken installiert, die den Espressobedarf decken sollen. Der Durchgang zum Malersaal wird vorne und oben verglast – Stromberg hat hier eine „kleine intime Whisky-Zigarren-Cocktail-Bar“ im Kopf. Der Marmorsaal im ersten Stock erhält seine Bestimmung als Wiener Kaffeehaus. All das wird von morgens bis spät abends für jedermann zugänglich sein. Außerdem erhält die Kantine eine neue Struktur: Ein Tresen verbindet die beiden bislang getrennten Räume, für Schauspielhaus-Mitarbeiter entsteht ein geschützter Bereich. Als Spielstätte steht die Kantine allerdings nicht mehr zur Verfügung. Dafür wird das vollkommen vernachlässigte 2.-Rang-Foyer genutzt: In den ers-ten zwei Monaten geht hier eine Daily Soap von René Pollesch über die Bühne, täglich um 23 Uhr, jeden Mittwoch eine neue Folge.

Externe Aufführungsorte hängen derweil noch in der Luft. So ist das Schicksal des TiK, das Khoun nicht mehr bespielen will, nach wie vor mehr als ungewiss. „Das Gebäude ist total runter, da müsste renoviert werden.“ Aber für das TiK in die Schauspielhaus-Kasse zu greifen, sieht Stromberg nicht ein. Er hat einen besseren Vorschlag: „Die Stadt soll sich dran beteiligen.“ Und dann hat er als potenzielle Spielstätte noch einen Joker in der Hinterhand – wozu er mit einem breiten Lachen schweigt.

Ebenso wie über die Namen der neuen Sponsoren. Zwei hätten jedenfalls fest zugesagt, und mit weiteren liefen die Verhandlungen. Aber Stromberg lässt die Erwartungen nicht in den Himmel wachsen, das Schauspielhaus sei schließlich nicht die Expo. „Für Peter Steins Faust hab' ich achteinhalb Millionen Mark in acht Wochen bekommen – das kriegt man nur einmal im Leben.“ Für das Schauspielhaus kalkuliert er mit Sponsorengeldern in Höhe von drei Prozent seines eingefrorenen Etats von 36,2 Millionen Mark, also etwas über einer Million.

Aber wenn Stromberg neue Wege beschreitet, dann sind es meist auch die sparsameren. So konnte er die Werbeagentur Scholz & Friends dafür gewinnen, das Schauspielhaus über zwei Jahre mit kostenloser Kreativität zu versorgen: neues Logo, neue Typografie, neues Image. „Öffnung“ lautet das Zauberwort – hin zu anderen Kunstformen und auch gastronomisch. Die dominierende Farbe dabei signalisiert hingegen alles andere als die coole Umtriebigkeit und das geschäftsmäßige Handling von Events, wofür Tom Stromberg immer so beargwöhnt wurde: Es ist das wohlige Samtrot der Bestuhlung. Denn ganz im Gegensatz zu Expo hat er das Schauspielhaus wirklich lieb.