: Ein guter Schmerz
Herzlich willkommen im Fight Club: Das Tanzfestival Körperstimmen gehört in diesem Jahr den Männern
Körperstimmen No. 5 gehört den Männern. In all ihrem Größenwahn und ihrer Selbstbezüglichkeit, in all ihrer Infantilität und bedrängenden Körperlichkeit einer miefigen Männergarderobe. Sie nutzen Mikrophon und Kamera, um den körpereigenen Radius zu vergrößern und ihre physische Präsenz bildfüllend zu steigern. Sie lassen sich vom Publikum wie Raubtiere in ihrem Käfig umkreisen und tanzen nackt auf hohen Türmen.
Das Programm der Körperstimmen, zu dem die TanzWerkstatt zum fünften Mal ins Podewil einlädt, begann letztes Wochenende mit Stücken von Vincent Dunoyer und Ruby Edelman. In „Vanity“ stellte Dunoyer die Frage: Was ist wichtiger – der Körper oder sein Abbild? Ein kleiner Kasten in seiner Hand entpuppte sich als Kamera, die uns nach seinem Verschwinden von der Bühne die getanzte Sequenz noch einmal in schmerzhaft verzerrender Nahsicht zeigte. Doch das Konzept, das sich mit Reproduktion und Fragmentierung auseinandersetzen will, blieb didaktisches Trockenfutter.
Fast naturalistisch mutete dagegen das Trio des niederländischen Tänzers Ruby Edelman an, der mit „Line 300“ eine Geschichte aus der depressiven Phase einer Männergesellschaft erzählte: mit Selbstmorden, Dominanzspielen, Angstschreien und Gesicht-in-den-Dreck-drücken. Mit den Käfern, die sie frei über die Bühne krabbeln ließen und gelegentlich verschluckten, sorgten sie für Gänsehaut im Publikum, dessen Sinne auf Ekel immer noch schnellsten ansprechen.
Dieses Wochenende zeigen Fabian Galama und Peter Kho ihr Duett „Massage for a Frozen Ear“, eine fast klassische, filmverstärkte Zweiergeschichte. Dann aber übernimmt Boris Charmatz, der unter den jungen Choreographen Frankreichs als Neuentdeckung herausgestellt wird. „Nur wer alt ist, kann glauben, dass sich alles wiederholt. Heute werden Konventionen nicht mehr zerstört, sondern unterwandert“, sagte er weise schon mit 23 Jahren. Seine Performance „Aatt/enen/tionen“ stapelt zwei Tänzer und eine Tänzerinnen auf drei Plattformen übereinander.
Auf diesen kleinen Flächen müssen sie mit einer Energie zurecht kommen, die sie immer wieder an den Rand schleudert und der Gefahr des Absturz aussetzt. Ein wenig gleichen sie den Käfern, die Edelmans Männer in Einmachgläsern schüttelten. Als schmerzhaft wie eine Tätowierung wird dieser Tanz beschrieben. Anders als bei den Artisten in der Zirkuskuppel geht es nicht um die Ästhetisierung der Kraft, sondern um das Abstreifen aller Formen. Von unten hat das Publikum den Blick auf angespannte Muskeln und die frei baumelnden Geschlechtsteile der nur mit T-Shirts bekleideten Tänzer. Das ist sicherlich eine interessante Erfahrung und neue Perspektive.
Anders als Boris Charmatz hat Nigel Charnock seine Rebellion schon in der Zeit hinter sich gebracht, als er in den achtziger Jahren mit dem DV8 Physical Theatre Ballett mit Punk-Elementen und sexy Kostümen aufmischte. Der Engländer, der inzwischen als Solist auftritt, scheint täglich Dynamit zu frühstücken. Er ist eine Art Zehnkämpfer der Bühne: ein Tänzer, der sich im Spagat gerne auseinanderreißt und tief in die Trickkiste des Balletts greift; ein Clown, der dem eigenen Kunstwollen auf Knien hinterherrutscht; ein expressiver Schauspieler, der Shakespeares Sonette faucht und gegen den Sturm brüllt; ein Entertainer mit direktem Kontakt zum Publikum und plötzlichen Bekenntnissen. Als wäre das nicht genug, kommt er in „fever“ mit einem Streichquartett und dem Klarinettisten Michael Riessler auf die Bühne. Die legen ihren Ehrgeiz darein, dass dem Podewil fast das Dach wegfliegt und nur ja niemand ihre Musik mit einem Kammerorchester verwechselt. Man muss schon sehr gut englisch können, um in diesem sportiven Konkurrenzkampf noch etwas von den Sonetten zu verstehen.
KATRIN BETTINA MÜLLER
1. – 3. April Fabian Galama & Peter Kho; 8. – 10. April Boris Charmatz und Alain Buffard; 13. + 14. April, Nigel Charnock & Michael Riessler/Streichquartett. Jeweils 20.30 Uhr im Podewil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen