Formidable Riesenbrummer

Großes Wohnzimmer, hässliche Rahaus-Möbel, traurige Lebensbilanz, und der Wagen müsste auch mal wieder zum TÜV: Die finnische Band Him füllte die Arena mit „Join Me In Death“ und pathetischer Leere

Letzten Herbst hörte die Frau in meinem Hinterhof plötzlich nicht mehr den halben Tag lang Cher, sondern irgendein obskures neues Stück. Dann lief „Join Me In Death“ auch schon im Radio. Theatralik, Pathos und Finsternis verbünden sich mit einem hübschen, eingängigen Synthiemotiv. Klarer Fall von Winterhit.

Auch das Album „Razorblade Romance“ verkaufte sich gut. Merkwürdig vielleicht, dass die finnische Band Him nur in ihrer Heimat und eben bei uns in die Top Ten einrückte. Vielleicht zu einfach: Die deutsche Seele scheint prima kompatibel mit Sänger Ville Valos Einladung zum gemeinsamen Selbstmord.

Die Frau im Hinterhof aber hat den Song falsch verstanden und lebt immer noch. Wahrscheinlich war sie eine der über 6.000 Fans, die Him in der Arena erleben wollten. Mit Pseudo-Grufties hatten wir ja gerechnet, aber dass einige im Publikum wie ihre Gothic-Eltern einst bei Sisters Of Mercy ausstaffiert waren? High-Heels und schwarze Lackkombis wurden ausgeführt, einer trug ein Deine-Lakaien-Shirt. Das war’s auch schon mit der Extravaganz. Viele Teenies, vor allem Mädchen, wenig Hipster.

Leider ist es ein Leichtes, über Him herzuziehen. Denn Ville Valos Kombo ist wahrhaft nicht das, was man unter einer ausstrahlungstarken, gar charismatischen Rockband verstehen würde. Keine Spur von Kreativität oder dem Versuch, öde, drömelige Songstrukturen wenigstens live aufzupeppen. Wir sind Mittelmaß, und wir schwören euch, nie was Besseres sein zu wollen. Dieses Band-Credo scheint recht gut mit den Ansprüchen der Fans zu harmonieren. „Join Me“ – das ist kein Revoltensong, nichts was Energie nach außen transportieren würde. „Join Me“ – das ist Introspektion, eingesperrt in ein nicht zu großes Wohnzimmer mit hässlichen Rahaus-Möbeln ziehen wir pseudoverzweifelt und selbstverliebt Lebensbilanz, und dabei fällt uns ein, das der Wagen zum TÜV müsste.

Diese Band hat definitiv nichts zu bieten außer der blassen Reproduktion von schon einmal gehabten Gefühlen. Kiss und Black Sabbath sind Valos Vorbilder, wahrscheinlich weiß er selbst nicht so recht, warum. Nach vier Titeln zieht er sein T-Shirt aus, die Girls kreischen einigermaßen laut, der Kamerastahlarm einer Videoproduktion schwebt über den Köpfen auf Valos Oberkörper und seinen Tatooarm zu. Ein eintöniges Schlagzeug untermalt jeden Song mit einem Rhythmuseinheitsbrei, und wenn der Gitarrist zum Solo ansetzt, muss man unwillkürlich lachen. Als Intro gab es einen Johnny-Cash-Song vom Band. Warum nur?

Auch Chris Isaak ist nicht vor Ville Valos Plagiatstreben sicher. Das hübsche „Wicked Game“ endet als Coverversion mit einer mittleren Kreischorgie des Sängers. Hoffentlich bekommt Isaak diese Live-Version niemals zu hören. Eine halbe Stunde später vergreift sich Valo auch noch an Billy Idol und macht den Rebell. Zwischen Kurt Cobain und Marc Bolan changiere der Him-Sänger, heißt es irgendwo im Internet. Glamrock, Grunge und Metal, Gothic, stupider Schweinerock – Him kennen die Popgeschichte, können aber nichts damit anfangen. In den USA oder England dürften Him damit keine Erfolge haben. Bei uns aber reifen solche Eintagsfliegen zu formidablen Riesenbrummern heran.

Auch die Frau in meinem Hinterhof ist wieder aktiv – „Join Me“ läuft in der Küche, Deutschland kocht Mittagessen. Och, hier noch was Positives über Ville Valo: Er kann besser Englisch als Mika Häkkinen. ANDREAS BECKER