Mexikanische Erleuchtungen

Auf Einladung des Goethe-Instituts beschworen deutsche Star-DJs in Mexiko zehn Tage lang den „Technogeist“.Die Szene dort ist zwar noch mikroskopisch klein, doch mit dem Love-Parade-Import erlebte sie ihr Coming-out

Von ANNE HUFFSCHMID

Die Entfernung fördert die Ehrfurcht. Eine „totale Ehre“ sei es, hier spielen zu dürfen, sagt Acid Maria. Bäuchlings liegt sie auf dem Hotelbett und schlenkert mit den Beinen. Aus dem offenen Fenster dringen Beats und Bässe hinein, im Halbdunkel ist eine hüpfende Menschenschar erkennbar. Grelle Lichtblitze zucken, daneben ragt die golden beleuchtete Kathedrale stumm und malerisch in die Nacht. Dort habe sie, erzählt die junge Münchnerin, schon bei ihrer Ankunft der Schutzheiligen des Landes, der Jungfrau von Guadalupe, eine Kerze gespendet. „Irgendwie bricht einem hier die ganze Coolness weg.“

Mexikanische Erleuchtungen. Hier, das ist mitten im Herzen von Mexiko, dem Zócalo, einem riesenhaften Platz im Zentrum der Altstadt. Wo sonst protestierende Bauern ihre Zelte aufschlagen, postaztekische Tanzgruppen tagaus, tagein mit Muscheln rasseln, arbeitslose Klempner und Bauarbeiter ihre Dienste feilbieten oder die Mariachis aufspielen, bollern heute harte elektronische Rhythmen über den Platz.

„Technogeist“ lautete der Titel eines zehntägigen deutsch-mexikanischen Techno-Marathons, zu dem das Goethe-Institut neun prominente DJ's aus dem fernen Deutschland eingeflogen hatte, von Stars wie Marusha („die deutsche Madonna“), Westbam oder dem Paradenvater Dr. Motte bis zu eher introvertierten Künstlern wie dem Computer-Komponisten Porter Ricks. Vertreten waren die Münchner mit DJ Hell und eben Acid Maria, die umgehend zur Favoritin der Mexikaner wurde, die Frankfurter Fraktion mit Heiko und Yannick sowie der Jung-Berliner DJ Disko. Neben drei Raves, bei denen die Deutschen zusammen mit einem knappen Dutzend mexikanischer Kollegen nächtelang auflegten, wurde auch tagsüber am „interkulturellen Austausch“ gearbeitet, so der Veranstalter-Jargon, bei Podiumsdiskusisonen und Workshops. In mehrstündigen Crash-Kursen erläuterten Disko und seine Landsleute mit Hilfe von Schautafeln, Mixern und Plattentellern liebevoll das kleine Einmaleins des Viervierteltakts und der Paradenlogistik, die Tricks und Tücken des Sampelns und Remixens, die Grundzüge der DJ-Profession und der Gründung unabhängiger Labels – Entwicklungshilfe, um auch Mexiko auf den Stand einer „Raving Society“ zu bringen.

Doch die Veranstaltung bot auch für die angereisten Techno-Botschafter manchen Lerneffekt. Für viele war es neu, dass Mexiko jenseits von Salsa, Merengue und Mariachi eine selbstbewusste, wenn auch noch mikroskopisch kleine Elektronikszene zu bieten hat. Die ersten Techno-Importe fanden, Anfang der Neunziger, als Mitbringsel jetsettender Oberschichtskids zunächst nur in exklusiven Clubs Verbreitung. Öffentliche Raves waren lange als Stätten potenzieller Drogen- und Sexexzesse tabuisiert; erst Gastauftritte ausländischer Star-DJ's verschafften der Szene einen halbwegs legalen Status. Das Treffen mit den Alemanes dient den Mexikanern daher nicht zuletzt dazu, „die Membran des Undergrounds zu durchbrechen“, so DJ Klang, gelernter Toningenieur und Veteran des mexikanischen Elektronik-Sounds. Auch Arturo Saucedo, mexikanischer Ko-Organisator vom „Technogeist“, hofft auf die Weiterentwicklung der Szene. Elektronische Experimentierfreudigkeit wertet er als „Aufbegehren“, von „kulturellem Guerillakrieg“ spricht gar der Musikkolumnist Pacho.

In den noch immer extrem geregelten Tanz-, Musik- und Alltagsritualen des modernen Mexiko scheint Techno, zumindest in seiner experimentellen Variante, tatsächlich widerständige Energien zu bergen. Das finden auch die Mitglieder des Techno-Kollektivs „Parador Análogo“, das sich jeden Donnerstag in „La Perla“, einem schmuddeligen Cabaret im Stadtzentrum, trifft. Von der Decke hängen Fischernetze, Pappfrüchte und alte Schallplatten, die Wände sind mit Flyern gepflastert. In einer leicht erhöhten Ecke legen die jungen Männer – weibliche DJ's sind auch in Mexiko eher rar – vor einer silbrigen Riesenmuschel ihre Scheiben auf. DJ Colcha grinst herausfordernd: „Es geht bei unserer Musik um Liebe“, meint der junge Mann im Rollkragenpullover, „und wenn Liebe ernst genommen wird, dann ist das revolutionär.“ Hier ist das Wort von der Liebesparade noch ein Versprechen auf die Zukunft.

Tatsächlich ein wenig revolutionär klingen jedenfalls schon die ersten Versuche, in der globalen Techno-Community eigene, unterscheidbare Soundkonturen zu gewinnen. Während verschiedene Gruppen schon länger mit der Fusion prähispanischer und synthetischer Musikelemente experimentieren, wurde in Tijuana, dem Grenzland zu den USA, vor wenigen Monaten eine neue Strömung geboren: der Nortec, die elektronische Verfremdung von Rhythmen aus der Volksmusik des Nordens, dem norteño, oder der swingenden Cumbia. „Wir wollten nicht länger wie alle anderen klingen“, erklärt DJ Bostich die Annäherung. Pepe Mogt alias DJ Fussible, der zeit seines Musikerlebens mit elektronischen Sounds experimentiert, führt in einem der Workshops vor, wie sein Sound-Recycling funktioniert: Elektronisch manipulierte Trompeten und Klarinetten, Pauken und Percussion werden mit Breakbeats oder Elementen des Minimal-Techno am Mischpult zu einem neuen, „multikulturellen“ Track gemixt. DJ Hell ist so begeistert, dass er eines der Nortec-Stücke ins Programm seines Independent-Labels aufnehmen will. Ob so etwas nicht auch mit deutscher Volksmusik denkbar sei? Heftiges Kopfschütteln. „So was soll man nicht mal denken“, so der Münchner streng, „bayrische Blaskapellen musste ich früher immer beim Mittagstisch hören.“ Außerdem, argumentiert Hell, sei die populäre Volksmusik in Mexiko, im Unterschied zum strammen deutschen Sound, von in sich gebrochenen Rhythmen geprägt, ergo mixfähiger.

Im Sommer wollen die DJs Bostich und Fussible bei der Love Parade erstmals einen mexikanischen LKW bestücken. Der Berliner Mega-Rave ist bei Fans und Machern in Mexiko noch immer ein Mythos: kaum einer, der nicht gerne mal dabei wäre. Kaum einer aber auch wird sich das leisten können: für einen Lautsprecherwagen müssen, ohne alle Reisekosten, „mindestens“ 30.000 Märker kalkuliert werden, rechnet Dr. Motte vor.

Billiger kommt da das Selbermachen. Am Samstagnachmittag liegt feiner Nieselregen in der Luft, der goldene Unabhängigkeitsengel (der, welch passendes Bild, der Berliner Siegessäule täuschend ähnlich sieht) ist grau umwölkt. Zu seinen Füßen setzen sich die vier Lastwagen, umringt von hunderten herausgeputzten Techno-Kids, träge in Bewegung, über den Prachtboulevard Richtung Stadtzentrum. Wie eine Welle schwillt der Zug Meter für Meter an, und bald verschmelzen alle zu einer tänzelnden Masse. Von irgendwoher reihen sich ein Dutzend Stelzentänzer ein, die an die Spitze der Parade staksen. Am Straßenrand gibt es freundliche Befremdung über das ungewohnte Stampfen. Die Musikanlage sei zwar „miserabel“, berichtet Yannick, aber sonst findet er alles „richtig geil“. Durch enge Gassen ergießt sich die Menge schließlich auf den Zocálo. Es regnet inzwischen in Strömen, was aber niemanden zu kümmern scheint. Bis zum Morgengrauen geht keiner nach Hause. „Alle benahmen sich wie Kinder mit einem neuen Spielzeug“, steht am nächsten Tag in einer mexikanischen Zeitung.

Natürlich teilen nicht alle diese Begeisterung. Projektleiter Dietmar Geisendorf, der letztes Jahr schon die Einstürzenden Neubauten ins Land geholt hatte, bleibt gelassen: „Wir wollten keine Sekunde lang irgendwen provozieren.“ Paradoxerweise mutet das, was in Mexiko gar nicht als politische Demonstration, wie in Berlin, sondern nur als „kultureller Umzug“ angemeldet war, dort weit subversiver an. Endlich aus den Clubs und Kellern nach außen zu dringen, die Straße zum Klangkörper und Resonanzboden zu machen, das gleicht im autoritären Mexiko durchaus einer Art Coming-out. „Die Leute feiern hier einfach sich selbst“, sagt der Frankfurter Heiko und fühlt sich an frühere, bessere Zeiten erinnert. „Bei denen brennt das Feuer noch lichterloh.“ Es klingt fast ein wenig wehmütig.