Der Zaster, die Knete, das Geld

Alle Menschen sind gleich. Alle wollen ein bisschen reich und glücklich sein. Dummerweise schneiden die Damen dabei schlechter ab als die Herren. Verdienen weniger, besitzen weniger, haben weniger profitable Geldanlagen. Warum haben Frauen Probleme mit Geld? Die Antwort ist einfach und kompliziert: Sie haben Angst

von VERENA KERN

Berlin, Ernst-Reuter-Platz, in der Filiale einer großen deutschen Bank, gegen 19 Uhr. Im Schaufenster beleuchten wärmende Lichter die Reklametafeln, auf denen die Finanzprodukte des Geldinstituts angepriesen werden. Drinnen gleißen die Deckenfluter und treiben den sedativen Gelbton des hauseigenen Seminarraums ins Sterile. Auf dunkelblauem Gestühl sitzt eine Vierzigschaft Frauen in Reih und Glied und wartet. Darauf, dass es ernst wird mit dem Thema Geld, Geldanlage, Vermögensaufbau. Darauf, dass die beiden Mitarbeiterinnen der Bank, die die Veranstaltung organisiert haben, endlich loslegen.

Zusammen mit einer Frauenzeitschrift hat die Bank im vergangenen Jahr ein Seminar über „Frauen und Geld“ veranstaltet. Einige der Teilnehmerinnen wollten mehr. Sich mit Geld beschäftigen, mehr aus ihrem Geld machen. Das Ergebnis ist diese Veranstaltung, die sich Frauenbörsenstammtisch nennt, von einem Stammtisch aber so weit entfernt ist wie die meisten Frauen vom Geld.

Seminare und Vorträge zum Thema „Frauen und Geld“ veranstaltet inzwischen fast jede große Bank, es gibt Kurse an Volkshochschulen, es gibt Ratgeberliteratur. Das Thema ist in Mode gekommen. Aber es ist mehr als das. Der Beratungsbedarf von Frauen in Sachen Geld ist in der Tat enorm. Denn ihre finanzielle Situation ist nahe an dem, was man eine Katastrophe nennt.

Auch im Jahr 2000 hat sich nichts daran geändert, dass das Durchschnittseinkommen von vollzeiterwerbstätigen Frauen um rund dreißig Prozent unter dem der Männer liegt – obwohl Frauen eine bessere Ausbildung und bessere Abschlüsse haben als Männer. Über ein Drittel der erwerbstätigen Frauen – aber noch nicht einmal fünf Prozent der Männer – arbeiten nur Teilzeit. Das durchschnittliche Nettoeinkommen berufstätiger Frauen beträgt kaum mehr als zwanzigtausend Mark im Jahr, so dass drei Viertel aller Frauen zu wenig verdienen, um damit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Das schlägt sich auch bei den Renten nieder. Die meisten Frauen kommen auf kaum tausend Mark monatlich.

Das wenige Geld, das Frauen haben, legen sie auch noch schlecht an. Ihre bevorzugte Anlageform ist noch immer das Sparbuch, bei dem die Rendite kaum über der Inflationsrate liegt. Aktien aber, die derzeit lukrativste Geldanlage, besitzen zwar knapp zehn Prozent der Männer, aber nur rund fünf Prozent der Frauen – mit fallender Tendenz.

Frauen brauchen mehr Geld. Die Banken haben längst verstanden. Sie wissen, dass Frauen auf Grund ihrer Lebensumstände – Babypause, Teilzeitarbeit, Steuerklasse V – und ihrer höheren Lebenserwartung auf einem dramatischen „Vorsorgeloch“ sitzen, wie ein Mitarbeiter der Münchner HypoVereinsbank sagt. Und sie wissen auch, dass das Leben für Frauen teurer ist, von den höheren Beiträgen, die Krankenkassen von ihnen verlangen, bis zu den höheren Preisen, die Friseure für einen Damenhaarschnitt fordern, gleichgültig ob die Haare lang oder kurz sind.

Auch die Frauen fangen an zu verstehen. Bei Informationsverstaltungen zum Thema Finanzen können sich die Banken vor Interessentinnen kaum noch retten. Bei einer repräsentativen Umfrage, die kürzlich vom Forsa-Institut im Auftrag der Investmentgesellschaft Metzler durchgeführt wurde, gaben 81 Prozent der Frauen an, Finanzthemen seien für sie genauso interessant wie für Männer. „Die Frauen werden wach“, sagt eine Mitarbeiterin der Hamburger Vereins- und Westbank, die den Unternehmensbereich Zielgruppenmarketing leitet. Doch die größten Hindernisse liegen in den Frauen selbst und heißen Unwissenheit, Unerfahrenheit, Unsicherheit, Berührungsangst, Geldangst.

Beim Treffen des Börsenstammtischs in Berlin sind die Frauen allesamt überpünktlich erschienen, wie Menschen es tun, für die es normal ist, mehr Zeit als Geld zu haben. An dem kleinen Buffet im Vorraum haben sie sich zuvor noch eilig mit Kuchen und Keksen, Kaffee, Saft und Wasser verköstigt. Alkohol steht nicht auf dem Buffet. Denn dies ist, auch wenn von Stammtisch die Rede ist, eine Art Arbeitstreffen, bei dem es nicht um Spaß und Genuss geht, sondern um Disziplin und Mühsal. Eine ernste Veranstaltung zu einem ernsten Thema. So steht es auch in den Gesichtern. Angespannt sind sie, besorgt. Vierzigmal.

Das akademische Viertel ist längst verstrichen. Nicht einmal ein Murren weht durch den Raum. Wie im Wartezimmer eines Arztes sitzen die Frauen da und schweigen. Wenn vierzig Frauen sich zu einem Kaffeeklatsch treffen, ist das Reden und Lachen so laut, dass die Wände wackeln. In dem Seminarraum aber, in dem die Kontrolle über Herrschaftswissen und die Finanzautorität der Bank im Raum steht, werden sie klein und brav wie Schülerinnen, die sich vor dem Tadel des Lehrers fürchten.

Dabei hätten es Frauen gar nicht nötig, sich beim Thema Geld mit einem Anfall plötzlich schwindenden Selbstbewusstseins zu quälen und allenfalls im Gespräch unter Freundinnen zu raunen, dass Frauen doch eigentlich viel besser mit Geld umgehen können als Männer. Denn genauso ist es. Wenn Frauen erst einmal anfangen, sich mit Geld zu beschäftigen, sind sie durchweg erfolgreicher als Männer. Mit Aktien etwa erzielen Frauen durchschnittlich fünf Prozent mehr Rendite. Frauen verschulden sich seltener als Männer. Existenzgründerinnen gehen seltener Pleite. In der Mehrzahl der Familien sind Frauen für das Haushalten und Wirtschaften zuständig, dafür, dass der Laden läuft und das Geld beieinander bleibt.

Aber ihre spezifischen Talente können auch ganz schnell zu Barrieren werden. Unternehmerinnen sparen am eigenen Gehalt, zuerst bezahlen sie die Rechnungen. Frauen mit Familie sparen für die Kinder oder für gemeinsame Anschaffungen. Das eigene Geld einzusetzen, um für sich selbst ein wie auch immer bescheidenes vermögen und eine eigenständige Altersvorsorge aufzubauen, erscheint ihnen egoistisch. Familie und Partnerschaft sind ihnen wichtiger als Geld. Dessen angestammter Platz bleibt so in den Händen der Männer, die es mit Status, Macht und besseren Lebenschancen verknüpfen.

Geld ist für viele Frauen eine abstrakte Größe. Mit kleinen Beträgen können sie umgehen, haushalten eben. Bei größeren Summen verlieren sie rasch den Bezug und den Überblick. Es gibt Selbsthilfegruppen für Erbinnen großer Vermögen, die angesichts des plötzlichen Reichtums von Schuldgefühlen, Selbstzweifeln und Angst geplagt sind. Von Männern hat man Gleiches noch nicht gehört.

Aber schließlich ist es noch gar nicht so lange her, dass es Frauen prinzipiell verwehrt war, finanziell für sich selbst zu sorgen. Erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts dürfen sie überhaupt ein eigenes Konto haben – mit Einwilligung des Ehemanns, versteht sich. Bis 1977 brauchten sie die Zustimmung ihres Manns, um berufstätig sein zu können.

Das Problem ist deshalb gar nicht, dass Frauen zu wenig Realitätssinn und Lebenstüchtigkeit hätten, sondern dass sie zu viel davon haben. Sie sind so sehr darauf trainiert, sich an dem zu orientieren, was sie konkret umgibt, dass für Visionen, Risikobereitschaft und den selbstbewussten Anspruch, den eigenen Lebensrahmen nach den eigenen Maßstäben und Bedürfnissen zu gestalten, kaum noch Platz bleibt. Dann warten sie beim Börsenstammtisch lieber, um nicht die Atmosphäre mit Protest zu belasten. Dann stehen sie lieber die gesamte halbstündige Pause mit einer ausgelöffelten Dessertschale herum, weil sie sich nicht trauen, schmutziges Geschirr auf das schöne Buffet abzuladen.

Und dann sind da noch die Gefühle. Den wenigsten Frauen gelingt es, Geld und Gefühle so strikt voneinander zu trennen, wie es ratsam wäre. Sie übernehmen Bürgschaften für ihren Partner, damit er sich mit Hilfe eines größeren Kredits selbstständig machen kann. Und fallen aus allen Wolken, wenn er, meistens nach dem Scheitern der Beziehung, seine Zahlungen einstellt und sie mit einem Berg Schulden dastehen, den sie kaum mehr abtragen können.

„Die Frauen unterschreiben, weil sie etwas für die Beziehung tun wollen“, sagt Annette Schmedt von der Initiative für Bürgschaftsgeschädigte Frauen (IBF) in Berlin. Sie rechnen einfach nicht damit, dass der Ernstfall eintreten könnte.“ Auf Augenhöhe fährt die U-Bahn an dem Zimmerchen vorbei, in dem Schmedt Besucher empfängt. Die Kaffeetassen klirren auf dem Tisch. Schmedt holt tief Luft und sagt: „Eher sollte einem die Hand abfaulen, bevor man eine Bürgschaft unterschreibt.“

Vor einem Jahr hat Annette Schmedt, unterstützt durch ABM- und EU-Mittel, die Initiative, die bislang einmalig in der Bundesrepublik ist, gegründet. Auch hier ist der Beratungsbedarf enorm. Allein in den ersten neun Monaten wurden 600 Frauen beraten – um ein Vielfaches mehr als bei normalen Schuldnerberatungen. Schmedt spricht von einem tabuisierten Massenphänomen“. Um das zu ändern, veranstaltet die Initiative am kommenden Wochenende in Berlin eine Tagung zum Thema „Schulden für Andere – ein frauenspezifisches Problem?“. Und sie will eine Stiftung aufbauen, um den betroffenen Frauen künftig konkreter helfen zu können. Zurzeit sucht Annette Schmedt noch nach Finanziers. Es dürfen ruhig auch Männer sein.

Kontakt: Initiative für Bürgschaftsgeschädigte Frauen, Bülowstr. 71–72, 10783 Berlin, Fon: (0 30) 25 79 81 98.

VERENA KERN, 35, ist Inlandsredakteurin der taz. Morgens liest sie den Wirtschaftsteil der „Süddeutschen Zeitung“