Todesstrafe in der US-Diskussion

75 Todeskandidaten sind den USA seit der Wiedereinführung der Todesstrafe Mitte der Siebzigerjahre nachträglich freigesprochen worden, weil der Justiz Irrtümer nachgewiesen werden konnten. Auf besonderes Medieninteresse stießen in jüngster Vergangenheit drei spektakuläre Fälle, in denen neues Beweismaterial nicht von Staatsanwaltschaft oder Verteidigung, sondern von engagierten Studenten der Chicago Medill School of Journalism vorgelegt wurde. Unter Leitung von Professor David Protess hatten sie die Fälle nachrecherchiert.

Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen über 285 Mordprozesse publizierte die Chicago Tribune. Darin hieß es, dass „mehr als die Hälfte aller Verfahren mit ungesetzlichen Mitteln geführt wurden“. Außerdem wiesen sie nach, dass die meisten zum Tode Verurteilten schlechte Verteidiger hatten.

Zwar wird die Todesstrafe noch immer von der Mehrheit der US-Bevölkerung getragen, doch die Angst vor tödlichen Fehlern führt inzwischen zu einer neuen politischen Diskussion. In der Kritik steht auch das ethnische Ungleichgewicht. Von den zurzeit etwa 3.500 Todeskandidaten sind 42 Prozent Afroamericans, obwohl deren Bevölkerungsanteil bei nur zwölf Prozent liegt.

Nach mittlerweile vierzehn eindeutig bewiesenen Fehlurteilen konnte selbst George Ryan, Gouverneur von Illinois, Hinrichtungen nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren. Seit 1977 sind in seinem Staat mehr zum Tode Verurteilte später freigesprochen als hingerichtet worden. Obwohl er öffentlich immer als Befürworter der Todesstrafe auftrat, hat er im Januar deren Vollstreckung außer Kraft gesetzt.

Ryans Vorstoß fand inzwischen zahlreiche Nachahmer. Philadelphia hat zuletzt als achte Stadt eine entsprechende Überprüfung beantragt. In den Bundestaaten Maryland, Alabama, New Jersey, Washington und Oklahoma wird darüber beraten. Unbeirrbar dagegen scheint der republikanische Präsidentschaftskandidat George W. Bush. Als Gouverneur von Texas hält er einen makabren Rekord. Seit seinem Amtsantritt 1995 ließ er 122 Todesurteile vollstrecken. JAN ROSENKRANZ