Scheitern als Chance

Angriff auf die Britart: Musik und Malerei mit Sexton Ming und den „Stuckists“ im Westwerk  ■ Von Meike Fries

Wenn vielseitig begabte, auf unterschiedlichen Gebieten arbeitende Menschen mit ihrer Kunst an die Öffentlichkeit treten, ist häufig kaum absehbar, was man zu sehen bekommen wird. So verhält es sich z.B. mit Tausendsassa Billy Childish, und ebenso verhält es sich auch mit seinem Kumpanen Sexton Ming, der am Sonntag im Westwerk als Musiker, Autor und Maler in Erscheinung treten wird.

Letzteres allerdings vor allem in seiner Funktion als Mitglied der im letzten Jahr von Charles Thomson und Billy Childish gegründeten britischen, neokonservativen Kunst-Bewegung The Stuckists, deren Ausstellung zur gleichen Zeit am gleichen Ort eröffnen wird. Gegründet hat sich die aus dreizehn Künstlern bestehende Gruppe, deren Mitglieder sich – zumindest noch vor einem halben Jahr – nicht mal alle untereinander kannten, in Reaktion auf die im vergangenen Jahr vom britischen Kunstmogul Charles Saatchi so vehement propagierte „Britart“.

Ihr Ziel ist, so The Stuckist Manifesto, der Britart die „Maske der Schlauheit“ herunterzureißen und sie als ein aus rein kommerzieller Motivation heraus gegründetes, kalkuliertes Marketingkonzept zu enttarnen, das vor lauter Selbstreferenzialität gar nicht originell sein könne und seinen Anspruch, subkulturell und avantgardistisch zu sein schon durch die falschen Sponsoren (Charles Saatchi und die Labour-Regierung) eigenmächtig ins Lächerliche ziehe.

In ihrem im August letzten Jahres verfassten Manifest, schießen Childish und Thomson munter auf alles, was sich bewegt oder von dem angenommen wird, es bewege etwas anderes (die Kunstszene, die Gesellschaft, die Herzen – bitte ankreuzen): Popart, Britart, Videokunst, Konzeptkunst, Performance, Minimalismus und sowieso jegliche Kunst, die mit „toten Tieren und Zelten“ hantiere. Letzteres ist eine ziemlich humorvolle Anspielung auf zum einen Damien Hirst, der in Formaldehyd eingelegte Haie und Schafe ausstellt und zum anderen auf die Britart-Ikone Tracey Emin, die unter dem Titel Everyone I Have Ever Slept With 1963-1995 auf die Innenseite eines Zeltes alle Namen eben dieser Menschen stickte.

Darunter auch Billy Childish, der seine gescheiterte Beziehung mit ihr jahrelang in Gedichten und Romanen verarbeitete und seiner „Nicht-Bewegung“ einen Namen gab, der direkt auf ihre Äußerung von einst referiert, er selbst mitsamt seiner Kunst sei „Stuck! Stuck! Stuck!“ – im Sinne von steckengeblieben, festgefahren.

Auch wenn Childish abstreitet, dass Bitterkeit gegenüber seiner Ex-Freundin Emin ein Motivationsquell für die Stuckists sein könnte, scheint sie doch maßgeblich als Motor dieser Bewegung zu funktionieren, zumindest wird sie – vornehmlich von Childish – in jeglicher Hinsicht als Beispiel für das angeführt, was die Stuckists immer gerade nicht sein wollen: z.B. bei der Selbstvermarktung begabter (und erfolgreicher) als in der eigentlichen Kunst. Die Stuckists bezeichnen sich selbst als neokonservativ und traditionell und behaupten, Künstler, die nicht malten, seien keine Künstler. Malerei halten sie für das einzig geeignete Mittel, um Inhalte zu transportieren und Kommunikation zu ermöglichen. Teil ihrer strategischen Originalitätsverweigerung ist ebenfalls, dass sie ihre Bilder gerne als „schlecht,“ ihre Kunst als „Risiko“ bezeichnen und den Mut zum Versagen propagieren.

Sexton Ming scheint dieser Devise mit Begeisterung nachzukommen, zumindest wurden seine Bilder von einer Sunday Times-Kritikerin, die ansonsten sehr verständnisvoll schien, als „besonders tölpelhaft“ bezeichnet. Ob das tatsächlich so ist und auch wie es sich anhört, wenn Stuckisten lesen und Musik machen, wird man am Sonntagabend feststellen können. Dort liest Ming aus den englischen Originalen zu seinem neuen Buch Verfickt und zugenäht. Nette Geschichten aus der Stadt (Maas Verlag Berlin) und gibt mit den Tasty Ones das letzte Konzert ihrer Deutschland-Tournee.

 Sonntag, 2.4., 20 Uhr, Westwerk, Admiralitätsstraße 74 (Ausstellung läuft bis 6.4.)