Die Schattenfahrer

Hinter dem Branchenführer Team Telekom kämpfen die deutschen Radteams Gerolsteinerund Nürnberger um Aufnahme in die Eliteklasse des Radsports, den GS1-Mannschaften

von JÖRG FEYER

Das Pech ereilte Michael Rich in Form eines Steinchens, der sein Hinterrad auf nassem Asphalt in Sekundenbruchteilen wegrutschen ließ. Kann immer passieren in einem Sport, in dem Hinfallen und wieder Aufstehen Alltag ist – nur eben nicht unbedingt, wenn man sich 15 Kilometer vor dem Ziel der Schlussetappe im Spitzenreitertrikot einer fünftägigen Rundfahrt bereits als Sieger wähnt. Ganz oben stand dann, neulich bei der „Volta ao Algarve“, nicht der gestürzte 30-jährige Profi aus dem Team Gerolsteiner, sondern ausgerechnet der auch als Bruchpilot bekannte Ex-Dopingsünder Alex Zülle.

Am Tag danach ist die sportliche Leitung des führenden deutschen GS2-Teams schon wieder gefasst. So was „gehöre halt zum Geschäft“, sagt Teammanagerin Renate Holczer, sei aber keinesfalls als Omen für die gerade anlaufende Saison zu werten. „So abergläubisch sind wir nicht“, lacht die weltweit einzige Frau mit entsprechender Lizenz des Radsportweltverbands UCI. Und vielleicht klappt’s ja am 5. April beim Rennen Gent–Bevelgem.

Während man sich beim Team Telekom für die Führungsfahrer Jan Ullrich und Erik Zabel noch einmal frische Edelhelfer mit internationalem Renommée spendierte, während Andreas Klöden nach seinem überraschenden Sieg bei der Fernfahrt Paris–Nizza gleich zum Ullrich-Double hochgefeiert wird, kämpft die zweite Reihe des deutschen Radsports verbissen um nationale Anerkennung, um Einladungen zu renommierten Rennen und vor allem um Sponsorengelder, die endlich den ersehnten Sprung in den GS1-Status bringen.

Zweite Reihe? Es kratze „schon an der Ehre“, gesteht Renate Holczer, wenn da in den Medien trotz ansehnlicher Erfolge mal wieder das Verdikt „nur zweitklassig“ falle; in Italien, schwärmt sie, firmieren alle schlicht „als Profis“. Holczer: „Dass wir den gleichen Aufwand haben – 16 Fahrer, fast 20 Leute Personal, 10 Autos, die ganze Logistik –, wird oft nicht gesehen.“ Dieter Burkhardt, Geschäftsführer vom Team Nürnberger, meint: „Vor fünf Jahren wäre wir noch ein GS1-Team gewesen“ und verweist auf „gewaltig gestiegene Ansprüche“.

Am wenigsten scheint das Statusdenken den Fahrern auszumachen. Klar, „das Ziel für jeden jungen Fahrer mit Ambitionen muss ein GS1-Team sein“ (Burkhardt), doch sein Team Nürnberger, national die Nummer drei, ist mehr als ein Auffangbecken für Telekom-Profis wie Bert Dietz und Dirk Baldinger, die einige ihrer Ambitionen begraben mussten. So schlug etwa Raphael Schweda alle GS1-Offerten aus, die ihm im vergangenen Jahr nach seinem zweiten Platz beim Hamburger Weltcuprennen HEW-Cyclassics unterbreitet wurden. Auch Torsten Schmidt hält Gerolsteiner vorerst die Treue, trotz eines Angebots von Saeco. Dort stand Michael Rich unter Vertrag, als er 1998 einen bravourösen Auftritt beim Kopfsteinklassiker Paris–Roubaix hinlegte. Als ihn die Italiener danach wieder mit dem Lehrlingsgehalt abspeisen wollten, wechselte er 1999 zu Gerolsteiner.

Dass hiesige GS2-Teams nicht schlecht und vor allem pünktlich bezahlen, dass das Umfeld gut organisiert ist, hat sich längst auch im Ausland rumgesprochen. Mit Genugtuung berichtet Burkhardt von Anfragen einiger Fahrer „aus der ersten Kategorie“. Aus der deutschen Wirtschaft hören die Verantwortlichen leider nichts.

Zwischen zwei und drei Millionen Mark jährlich pendeln die Etats deutscher Zweitklasse-Teams, doch, so Holczer, „bevor man nicht fünf oder sechs Millionen in die Hand nimmt, braucht man gar nicht auf die Suche nach einem anderen Sponsor zu gehen. Und mit diesem Geld allein ein Eliteteam zu machen, das wär schon sehr, sehr knapp.“

Zum Vergleich: Telekom wirtschaftet jährlich mit 15 Millionen.

Ohnehin ist die radelnde Werbekolonne des Telekommunikationsriesen für die anderen deutschen Teams Segen und Fluch zugleich. Einerseits treten sie, so Renate Holczer, „immer noch im Kielwasser von Telekom“. Andererseits, so Dieter Burkhardt, „ist dieses Feld auf der Werbeschiene fast komplett von Telekom besetzt“, was die zögerliche Haltung anderer Großinvestoren erkläre: „Kein Unternehmen will gern zweiter Sieger sein.“

Das Radsport-Engagement von Unternehmen wie Telekom und den Hamburger Elektrizitätswerken (HEW), die Weltcuprennen sponsorn, hat noch keine Sogwirkung entfaltet. Holczer mutmaßt, das habe damit zu tun, dass „der Radsport hier nun mal keine traditionelle Sportart“ sei, und vielleicht auch aus Angst vor Schlagzeilen wegen Doping.

Dass die Imagearbeit immer noch „wahnsinnig schwer“ ist, haben sich die Radteams der zweiten Reihe aber auch selbst zuzuschreiben. Das Klima in der Szene gilt als vergiftet. Neid, Missgunst, übertriebene Eitelkeiten, auch Verunsicherung regieren. Michael Rich sprach von einem „Hauen und Stechen“, bei Holczer fällt irgendwann das Wort „Kleinkrieg“, und Dieter Burckhardt berichtet von „Kinderkram“ und „Schwachsinn“, wie sich bei großen Rennen GS1- und GS2-Teams beharken, falls einer aus der zweiten Reihe mal vorn mit dabei ist.

Gegenseitige Absprachen haben Seltenheitswert, vielmehr habe „jeder ein bisschen Angst, zu viel preiszugeben, vielleicht auch, weil jeder GS1 im Kopf hat“, so Holczer. Und jeder weiß, dass vorläufig nur ein Team den Sprung in die Königsklasse schaffen kann. Einen klaren Kopf will man beim Team Nürnberger GmbH dennoch behalten, Aufsehen erregende sportliche Erfolge einfahren und bekanntere Fahrer verpflichten. Hauptsache, raus aus dem Telekom-Schatten.