Selten wird so schön gestorben

■ Francesco Ciléas Oper „Adriana Lecouvreur“ ist wohl doch zu Unrecht in die Ablage gewandert. In einer virtuosen Inszenierung und in beeindruckender Spielkultur kam sie jetzt im Theater am Goetheplatz wieder ganz groß raus

An sich gibt es ja für den Musikfreund nichts Schöneres, als Neues, ihm noch Unbekanntes zu hören, zumal wenn es musiktheatralisch schmackhaft und anregend aufbereitet ist und man sich nicht bang – wie bei neutönerischen Produktionen – fragen muss, ob man dem Gebotenen intellektuell gewachsen ist.

Diese Angst braucht man bei der neuesten Opernproduktion des Theaters am Goetheplatz nicht zu haben. Francesco Ciléa, dessen Oper „Adriana Lecouvreur“ dort am Samstagabend Premiere hatte, war zwar ein Zeitgenosse Schönbergs. Seine Oper ist jedoch vor rund 100 Jahren in der milden Sonne Norditaliens und im geistig musikalischen Umfeld des „Verismo“ entstanden. Und außerdem wird sich der Belcantofreund daran erinnern, dass in ihrer besten Zeit der Monaco und die Tebaldi ihre Goldkehlen in den Dienst dieses Meis-ters gestellt haben. Man kann also getrost entspannt in die Oper schreiten – zumal der Lokalpresse zu entnehmen war, dass ein reizvolles Spiel der Vermischung von Theater und Realität in anspruchsvollem Bühnenbild erwartet werden könne.

Der wie auf einer Probe offene Vorhang verspricht dies einzulösen. Prächtig gemalte Prospekte sind zu sehen, halbhoch hängend spiegeln sie uns ein prunkvolles Theaterfoyer vor, darunter das nackt-schwarze Arbeitsfeld Bühne. Mit schlichten bespannten Gerüs-ten kann offen und schnell die Perspektive gewechselt werden. Draußen und Drinnen verschwimmen. Genial einfach, aber optisch wirkungsvoll, ein wunderbarer Spielraum für das wirre Eifersuchtsdrama um eine Schauspielerin, das tödlich endet und das am Rande auch noch von den verheerenden Wirkungen, die das Mäzenatentum in der Kunst anrichtet, zu berichten weiß.

Gepflegte Töne dazu aus dem Orchestergraben, sorgsam einstudiert und organisiert von Kapellmeister Stefan Klingele, dem das Orchester beeindruckend Spielkultur de-monstrierend folgte. Von der Bühne her erklang ein sorgsam gerundetes, geflegtes Parlando, das sich nur selten in einem Hauch von Expressivität verdichtete. Nach einer Stunde gepflegter Musikkultur mit italienischem Einschlag sehnte ich mich doch nach den wüsten melodischen Ausbrüchen Puccinis, die die Grenzen des guten Geschmacks deutlich überschreiten, was die Sache erst richtig spannend macht, oder nach den klar durchgezeichneten, harten Klangwelten Catalanis, dessen „La Wally“ Bremens Opernpublikum vor eineinhalb Jahrzehnten entzückt haben müss-te.

Hätte nicht ab und zu ein böses Weib von Frust, Liebesleid und Rache gesungen (überzeugend von Therese Renick gestaltet), die aris-tokratische Mäßigung und Feinsinnigkeit der Musik hätte mich schon in der Pause an die heimische Stereoanlage zurückgetrieben.

Auszuharren wurde jedoch belohnt. Der Einbruch von Einsamkeit und Tod in die Welt der Bühne und des Lebens macht das Leid, zuvor lediglich anspruchs- und geschmackvoll unterhalten worden zu sein, vergessen. Der Orchestersatz lichtet sich kammermusikalisch auf, wird zuweilen karg und bröselig und gewinnt damit emotionale Tiefe und authentische Schönheit, die Stimmen lösen sich aus dem Orchester und finden zu Melodien, die das Spannungsfeld der Personen zwischen Enttäuschung, Hoffnung und Verzweiflung unaufdringlich, doch sehr präzise hörbar machen. So schön und doch wahr wird selten in der Oper gestorben.

Die Inszenierung von Gabriele Rech auf der von Jean Bauer gestalteten Bühne spielt mit den verschiedenen Realitätsebenen des Stücks virtuos. Das ist schön anzuschauen, aber ebenso aristokratisch zurückhaltend wie Ciléas Musik. Doch ebenso wie bei Ciléa verdichten sich Tiefe und Ausdruck im 4. Akt.

Das Bremer Sängerensemble zeigt sich von der besten Seite. Wunderbar beseelt, mit zartestem Pianissimo sang Rachael Tovey die Adriana. Ein Vergnügen war es auch, Mihai Zamfir als unentschlossenen Liebhaber zuzuhören, der zwar immer leiser wird, dessen schlanke, mit mattglänzender Patina belegte Tenorstimme aber die ganzen tenoralen Strahlemänner verblassen lässt. Alan Cemore zeigte die ganze Bandbreite des Verschmähten und doch weiter Liebenden und Karsten Küsters, assistiert von Shivko Shelev, präsentierte einen hinreichend ekligen Theatersponsor.

Großer Beifall beendete den gepflegten Opernabend. Ich schloss mich ihm an, suchte aber doch schon in Gedanken nach „La Wally“ mit Monaco und Tebaldi in meiner ungeordneten Mediensammlung. Mario Nitsche

Weitere Aufführungen: 4. und 15. April, 10. und 19. Mai um 19.30 Uhr sowie am 7. Mai um 15.30 Uhr