Afrikanische Leerstelle

Eine politisches Konzept für den Schwarzen Kontinent konnte Außenminister Joschka Fischer auf seiner Reise nicht vorweisen. Von Europa kann Afrika deshalb zukünftig nur wenig erwarten
von KORDULA DOERFLER

Es hat fast eineinhalb Jahre gedauert, bis sich mit dem deutschen Außenminister erstmals ein Politiker aus der rot-grünen Regierungsspitze zu einem längeren Aufenthalt in Afrika bereit gefunden hat. Jetzt ist Joschka Fischer in fünf Tagen durch drei Länder gereist: Nigeria, Mosambik und Südafrika. Mit Bedacht waren sie ausgesucht worden als drei positive Beispiele auf dem verlorenen Kontinent, von dem üblicherweise nur über Katastrophen, Bürgerkriege und Hungersnöte berichtet wird. An den Wirtschaftsgiganten Nigeria und Südafrika – „Stabilitätsanker“ nennt Fischer sie – hängt nicht nur die Hoffnung vieler Nachbarländer. Schaffen sie die Demokratisierung nicht, kann man den Rest des Kontinents abschreiben, so sieht man es in den westlichen Regierungszentralen. Und dann eben noch Mosambik, das afrikanische Wunderkind, das nach einem blutigen Bürgerkrieg als eines der ärmsten Länder der Welt einen vorbildlichen Wiederaufbau vollbracht hat.

Der Zusammenstoß mit der afrikanischen Realität war hart. In Nigeria belehrte eine mutige Bürgerrechtlerin den Bundesaußenminister, dass man nicht von Zivilgesellschaften reden solle, solange es nicht einmal Bürger im aufgeklärten europäischen Sinn gibt. Fischer, der lieber selbst doziert, hatte an dieser Bemerkung zu schlucken. Auch der Trip nach Mosambik stand unter keinem guten Stern. Nach der Flutkatastrophe passte das bettelarme Land nicht mehr so recht ins Reisekonzept. Die Kritik an der verspäteten Hilfe aus Europa hatte dem Minister eine richtige Debatte zum falschen Zeitpunkt beschert und ihm lange vor seinem Abflug gründlich die Laune auf einen Kontinent verdorben, für den er ohnehin kein Interesse hatte. Dass andere Staaten nicht schneller waren, macht die Debatte nicht gegenstandslos. Heute ist man im Auswärtigen Amt stolz darauf, schneller gewesen zu sein als die Amerikaner. Na und?, möchte man fragen. Vor Ort war die deutsche Bundeswehr anfangs vollkommen überfordert, weil noch immer schlecht auf Einsätze dieser Art vorbereitet. Das ist nicht allein ihre Schuld, denn es gibt in der deutschen Außenpolitik kein ressortübergreifendes Konzept für humanitäre Krisen.

In der Bilanz hat das Zusammenspiel zwischen Hilfsorganisationen und dem Militär dennoch einigermaßen gut geklappt. Mosambik aber, so zynisch das klingen mag, war ein vergleichsweise einfaches Versuchsfeld: Schließlich handelte es sich nur um eine Naturkatastrophe und nicht um einen verworrenen Krieg, in dem man sich mit jeder humanitären Hilfe zwangsläufig zum Komplizen einer Seite macht. Die Argumente in dieser Debatte sind Fischer geläufig, und um Antworten ist er nicht verlegen. Die mitreisenden Nichtregierungsorganisationen warfen dem Minister vor, die humanitäre Hilfe militarisieren zu wollen. Nun ist dieser Vorwurf nicht ganz ehrlich und hauptsächlich Eigeninteressen geschuldet. Aber ohne Zweifel muss die Leistung humanitärer Hilfe unter Einsatz militärischer Mittel für künftige Kriseneinsätze neu durchdacht werden – erst recht, wenn man wie Fischer von „humanitären Interventionen“ spricht.

Am Ende kam dann noch Südafrika, der Hoffnungsträger am südlichen Ende des Kontinents. Die Realität, die die Apartheid hinterlassen hat, blieb Fischer erspart, für einen Besuch in einem Township war keine Zeit. Stattdessen joggte der deutsche Außenminister lieber durch die Villenviertel von Pretoria und Johannesburg. Zwar wurde Fischer in Pretoria vom Präsidenten und der Außenministerin empfangen, viel politisches Aufheben wurde um die deutschen Gäste indessen nicht gemacht. Für die höchst selbstbewussten Südafrikaner ist Deutschland vor allem als Handelspartner und Großinvestor wichtig. Kürzlich hat die ANC-Regierung mit der Bundesrepublik das größte Rüstungsgeschäft in der südafrikanischen Geschichte abgeschlossen. Joschka Fischer hat damit keine Probleme, denn schließlich sei Südafrika jetzt ein demokratisches Land.

Südafrikas Präsident Thabo Mbeki hatte nicht einmal Zeit für eine gemeinsame Pressekonferenz. Anders als sein Vorgänger Mandela hat er die Koordinaten der südafrikanischen Außenpolitik weit stärker auf Afrika und die Dritte Welt gelegt. Der deutsche Außenminister ist dabei kein kompetenter Gesprächspartner. Fischer gehörte nie zur Dritte-Welt-Fraktion der Grünen, und in seinem Buch „Die Linke nach dem Ende des Sozialismus“ taucht die Dritte Welt nur am Rande auf. Dabei ist es geblieben. Afrika könne von den Europäern derzeit nichts erwarten, sagte schon Fischers Staatssekretär Ludger Volmer vor einem Jahr in Johannesburg. Kosovo, EU-Erweiterung, G-8-Gipfel, Tschetschenien ... Schlechte Zeiten für den ärmsten Kontinent. Rot-Grün hat das Kunststück vollbracht, selbst die bescheidenen Ansätze der Kinkelschen Afrikapolitik brach liegen zu lassen und die Ausgaben für Entwicklungshilfe auf einen Rekordtiefstand zu senken.

Am Ende seiner Reise hielt Fischer die überfällige Rede zur deutschen Afrikapolitik. Er hätte es wohl nicht bis zum Außenminister gebracht, fände sich nicht dort auch ein Beweis seines Talents, Anregungen und Kritik rasch aufzugreifen. Von Kapstadt bis Kairo, heißt es dort frei nach Cecil Rhodes, könne es kein einheitliches Gesamtkonzept deutscher Afrikapolitik geben. Wohl wahr. Im Übrigen gab es eine solche Politik noch nie, schon aus rein historischen Gründen. Allein die drei besuchten Länder Nigeria, Südafrika und Mosambik sperren sich in vieler Hinsicht einem Vergleich. Afrika ist mehr als der scheinbar homogene Block der europäischen Wahrnehmung. Dass freie Wahlen noch lange nicht zu Demokratie führen, dass gewählte Regierungen oft nicht weniger korrupt und diktatorisch sind als Putschisten und Militärs, dass wirtschaftlicher Reichtum nicht zwangsläufig Entwicklung und Wohlstand nach sich zieht, all das will sich nicht in die westlichen Vorstellungen von Demokratie fügen. Demokratie und Menschenrechte zu stärken, wie Fischer in seiner Rede postuliert, ist eine hübsche Reminiszenz an grüne Überzeugungen. Doch wer würde das heute nicht unterschreiben? Fischer will künftig stärker auf regionale Zusammenschlüsse wie die Demokratischen Länder des südlichen Afrikas (SADC) setzen und deren Stabilität fördern. Auch das klingt schön und ist im Ansatz nicht falsch. Ein politisches Konzept ist es nicht.

Man nehme nur die SADC als Beispiel: Drei ihrer Mitgliedstaaten führen außerhalb ihres eigenen Territoriums Krieg (Simbabwe, Namibia, Angola), in zweien herrscht Krieg (Angola, Kongo), letzterer ist ein innerafrikanischer Flächenbrand, in den mehr als ein Dutzend Länder und Guerillafraktionen verwickelt sind. Die Mittel herkömmlicher (UN-) Friedensstiftung werden dort angesichts eines ideologiefreien modernen Raubrittertums vorhersehbar versagen. Eine strategische deutsche und europäische Politik, die Demokratie und Menschenrechte stärkt und zugleich Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung fördert, steht noch aus. Die afrikanische Leerstelle in der deutschen Außenpolitik wird vorerst bleiben.

Hinweise:Eine einheitliche Politik von Kapstadt bis Kairo gibt es nichtDie Ansätze deutscher Afrikapolitik liegen weiter brach