341,2: die motorenfabrik von EUGEN EGNER
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Seinen Tanten, die ihn trotz allem für „genial und gottbegabt“ hielten, verdankte 341,2 die Anstellung bei einer Firma. Sie bestand eigentlich nur aus zwei Schuppen und einem hohen hölzernen Treppenhaus. Jeden Morgen, nachdem ihn die Tanten mit dem Handkarren abgeliefert hatten, reinigte 341,2 die Treppen von oben nach unten. Er wunderte sich selbst, wie schön er das konnte, ohne sich dabei nennenswert zu verletzen oder größeren Sachschaden anzurichten. Herr Oswald, der Inhaber, hatte noch nicht entschieden, was für eine Firma es eigentlich sein sollte. Trotzdem führte er seinen Angestellten täglich herum und sprach ihm von blendenden Zukunftsaussichten und Aufstiegsmöglichkeiten. 341,2 hatte sein eigenes, allerdings recht kleines Büro (für einen, der nichts konnte, war es tatsächlich groß genug). Es lag direkt an der Straße, gegenüber vom Friedhofseingang. Zweimal täglich mussten die Friedhofsarbeiter hindurch, wenn sie zur Frühstücks- beziehungsweise Mittagspause gingen. Manchmal schloss er sich an und verbrachte die Pause mit ihnen im Innenhof. Da war seit Menschengedenken eine ganz kleine Maschine, eine Art Kindernähmaschine, am Betonboden befestigt. Halb im Scherz schlug 341,2 vor, sie loszuschrauben, um vielleicht eine neue Ära einzuleiten. Herr Oswald hörte sich den Vorschlag sehr ernst an. „Eine neue Ära, das wäre etwas“, dachte er und beauftragte 341,2, schon einmal eine Werbekampagne auszuarbeiten. Ohne recht zu begreifen, worum es ging, machte sich 341,2 an die Arbeit. Dabei richtete er viel Schreibgerät zugrunde, versaute gründlich seine Kleidung und den Teppichboden. Kurz vor Feierabend kamen die Tanten, um ihn mit dem Handkarren abzuholen. Als sie sahen, wie eifrig er noch beim Ruinieren des Materials war, erzählten sie Herrn Oswald voller Rührung, dass ihr Neffe neuerdings glaubte, sich jeden Morgen an ein imaginäres Energiesystem anzuschließen, das er „Erzengel-Motor“ nannte. Das brachte Herrn Oswald auf einen Gedanken. Vielleicht, überlegte er, sollte man eine Motorenfabrik aufbauen? Galten Motoren nicht als allseits beliebt? Doch müsste es, wie der Begriff „Erzengel-Motor“ schon nahe legte, ein eindeutig religiöser und gottgefälliger Motor sein, ein richtiger Oswald-Wundermotor, wahrlich kein geringer Anspruch! Er wusste sogar schon den passenden Werbeslogan: „Gott würde diesen Motor kaufen.“

Am nächsten Morgen prangte ein neues Firmenschild über der Eingangstür: Oswald – Fabrikation religiöser Wundermotoren, und 341,2 erfuhr, dass er diese Motoren entwickeln sollte. Von einem, der nicht einmal mit den eigenen Hosenträgern zurechtkam, war das freilich entschieden zu viel verlangt. Um sich Mut zu machen, sang er beim Säubern des hohen hölzernen Treppenhauses lauthals: „Tochter Zion, fro-ho-ho-ho-hoie dich.“ Als er nach der Melodie der deutschen Nationalhymne fortfahren wollte: „Alle Menschen werden Brüder für das deutsche Vaterland“, verfehlte er eine Stufe und stürzte ab. Mehrere Tage lang glaubte er, ihm fehle ein Auge, eine Schläfe und ein Teil seines Gehirns, weil er nach seiner Geburt von einem siamesischen Zwilling getrennt worden sei, der sich inzwischen zu einem berühmten Motorenerfinder entwickelt habe.